Am Helllichten Tag
nimmt sich vor, nachher in Locarno ein neues Handy zu kaufen, aber damit ist das Problem nicht gelöst, denn sie weiß weder die Nummer vom Ferienhaus noch Céciles Handynummer auswendig.
Das Boot wird langsamer, und sie nähern sich dem Hafen von Locarno. Nathalie lässt den Blick über die rosafarbenen und gelben Häuser am Hang und die Alpengipfel im Hintergrund schweifen. Unter anderen Umständen hätte sie die traumhafte Fahrt bis zuletzt genossen, doch jetzt kann sie es kaum erwarten, an Land zu kommen.
Als das Boot angelegt hat, geht sie als Erste von Bord und läuft die von Palmen und Blumenkübeln gesäumte Uferpromenade entlang.
Durch ein Gewirr von schmalen Gassen gelangt sie zur Piazza Grande im Zentrum und kauft dort als Erstes ein Prepaid-Handy, dann eine geräumige Schultertasche als Ersatz für die weggeworfene. In einem kleinen Supermarkt deckt sie sich mit Proviant ein.
Gegen Mittag bricht sie zum Bahnhof auf, obwohl sie am liebsten ein paar Tage bleiben würde. Aber Vincent ist ihr noch zu dicht auf den Fersen, sodass sie keine Ruhe finden würde.
Inzwischen brennt die Sonne vom knallblauen Himmel. Nathalie kommt tüchtig ins Schwitzen, als sie den Buggy durch die Gassen schiebt.
Nathalie stellt sich am Schalter an und kauft eine Fahrkarte nach Basel.
Der Zug fährt in einer Viertelstunde. Langsam geht sie zum Bahnsteig, wo er schon bereitsteht.
Pünktlich auf die Minute fährt er ab. Nathalie lehnt den Kopf ans Fenster, sieht das grandiose Bergpanorama vorbeiziehen. Nach all den Aufregungen fühlt sie sich todmüde. Sie schließt die Augen, nur für einen Moment, doch dann schläft sie ein.
Die halbe Stunde Ruhe hat gutgetan. Bei der Ankunft in Bellinzona fühlt sie sich erfrischt.
Sie steigt in den Zug nach Basel um. Als er den Bahnhof verlassen hat, macht sie sich mit Robbie auf die Suche nach einer Toilette.
Auf dem Rückweg verliert sie mehrmals fast das Gleichgewicht, weil der Zug über Weichen ruckelt. Sie öffnet die Tür zu ihrem Waggon, und ihr wird eiskalt.
Neben dem Buggy, am Fenster, sitzt Vincent.
24
Er hat auf sie gewartet. Entspannt sitzt er da, den Blick aufs Fenster gerichtet.
Nathalie bleibt stehen. Angst schnürt ihr die Kehle zu, ihr wird schwindlig, und sie sucht Halt am Türrahmen.
Ganz leise will sie wieder gehen, doch er hat sie bereits entdeckt.
»Nathalie!« Es klingt überrascht. »Schön, dich zu sehen! Setz dich.«
Sie denkt nicht daran, sich zu setzen, sondern geht ein paar Schritte rückwärts, aber er steht auf, nimmt ihren Arm und redet freundlich auf sie ein, sodass die Mitreisenden den Eindruck gewinnen müssen, zwei alte Bekannte hätten sich zufällig getroffen. Dass das Ganze eine Farce ist, könnte ihnen ein Blick auf Nathalies verängstigtes Gesicht verraten, doch keiner nimmt groß Notiz von ihnen.
»Du hast es mir nicht leichtgemacht.« Er drängt Nathalie auf ihren Platz und setzt sich ihr gegenüber. »Davor müsste ich eigentlich Hochachtung haben, aber nach allem, was vorgefallen ist …«
Nervös beißt sich Nathalie auf die Unterlippe und drückt Robbie so fest an sich, als befürchtete sie, Vincent könnte ihr das Kind entreißen.
»Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten«, fährt er fort und senkt die Stimme: »Entweder es gibt ein Riesendrama hier im Zug, was mir nicht sehr sinnvoll erscheint, oder du steigst beim nächsten Halt in aller Ruhe mit mir zusammen aus, damit wir reden können. In diesem Fall geht das Ganze ohne Gewalt vonstatten und …«
»Reden?«, stößt Nathalie hervor. » Du willst reden?«
»Aber sicher. Was dachtest du denn?«
»Du hast mich doch wohl nicht wie ein Irrer verfolgt, nur um zu reden!«
»Anfangs nicht, das stimmt. Da hatte ich was ganz anderes mit dir vor. Aber dann hab ich es mir anders überlegt, weil mich deine Zähigkeit beeindruckt. Du hast mehr Durchhaltevermögen, als ich dir zugetraut hätte. Das kann mir noch nützlich sein.« Abwartend sieht er sie an, ein verbindliches Lächeln im Gesicht wie ein Unternehmer, der mit der Konkurrenz verhandelt.
»Von wegen! Mit dir und deinen schmutzigen Geschäften will ich nichts mehr zu tun haben!« Trotz ihrer Angst bringt Nathalie es fertig, mit fester Stimme zu sprechen.
»Hmmm, schade. Zumal du bis zum Hals mit drinsteckst. So einfach kommst du da nicht raus, meine Liebe.«
»Warum nicht? Du findest bestimmt eine andere, die nach deiner Pfeife tanzt.«
»Sicher, aber darum geht es nicht. Tatsache ist, dass ich keine andere will. Wir
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