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Am Helllichten Tag

Am Helllichten Tag

Titel: Am Helllichten Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone van Der Vlugt
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gehören zusammen, das weißt du genau.« Er beugt sich vor, und Nathalie weicht automatisch zurück.
    »Ich mach nicht mehr mit«, sagt sie. »Und du steigst am nächsten Bahnhof allein aus. Ohne mich und ohne Robbie.«
    Falsch! Jetzt hat sie seine Aufmerksamkeit auf das Kind gelenkt.
    Nachdenklich betrachtet er den Kleinen, der sich an sie kuschelt.
    »Gib ihn mir.«
    »Nein!« Sie presst das Baby fest an sich. Egal, was Vincent vorhat, Robbie bekommt er nicht! Wenn er ihn erst einmal hat, ist sie verloren. Sie ist bereit, sich mit Zähen und Klauen zu wehren.
    Das ist ihr offenbar anzusehen, denn Vincent lehnt sich zurück und verschränkt die Arme.
    »Na gut. Ich wollte ihn ja nur kurz auf den Arm nehmen. Aber wenn es dir nicht recht ist …«
    Dass er nicht ausrastet und zuschlägt, sondern freundlich und gelassen bleibt, irritiert Nathalie. Meint er es vielleicht doch ehrlich? Will er tun, als wäre nichts gewesen, weil er sie inzwischen mit anderen Augen sieht? Oder liegt es nur an den Mitreisenden?
    Ihr fällt wieder ein, wie er in aller Herrgottsfrühe ins Ferienhaus eingedrungen ist, ihren Schwager mit der Pistole bedroht und dann angeschossen hat – nein, sie glaubt ihm kein Wort! Mehr als einmal hat sie erlebt, wie Vincent an Leuten, die ihm in die Quere kamen, Rache genommen hat. Er will sie lediglich aus dem Zug locken, wo ihr die Reisenden, ohne es zu ahnen, Schutz bieten. Und dann wird er sie umbringen …
    Sie konnte sich noch nie gut verstellen, und auch jetzt scheint Vincent genau zu merken, was sie denkt.
    »Du traust mir nicht?«
    »Wie sollte ich? Nach allem, was passiert ist.«
    »Es ist doch überhaupt nichts passiert.«
    »Wie bitte? Du hast Edwin über den Haufen geschossen!«
    »Ein Streifschuss, mehr nicht. Daran wird er schon nicht krepieren.«
    »Das glaube ich erst, wenn ich mit Cécile gesprochen habe.«
    Vincent macht eine bedauernde Geste. »Ich hab ihre Telefonnummer nicht. Du?«
    Nathalie wendet das Gesicht ab.
    »Wie hast du es geschafft, über die Grenze zu kommen?«, fragt sie nach einer längeren Pause. »Die haben dich doch angehalten, oder?«
    Vincents Miene verdüstert sich einen Moment, verrät seine wahre Gemütslage. Nathalie ist auf der Hut, auch wenn er sich gleich darauf wieder freundlich gibt.
    »Ja, aber nicht lange.« Seine Stimme wird zu einem Flüstern. »Weil sie nichts gegen mich vorliegen hatten. Meine Papiere sind in Ordnung, nicht einmal das Ortungsgerät ist ihnen aufgefallen, sie haben es wohl für einen gewöhnlichen Laptop gehalten. Die Blödmänner haben zwar das Auto durchsucht, aber nichts gefunden, denn meine Pistole war im Geheimfach unter der Konsole.«
    »Und woher wusstest du, dass ich in diesem Zug bin?«
    Er grinst breit. »Tja, erst war ich ziemlich irritiert, weil das Signal vom Sender mit einem Mal aus einem Touristenbus kam. Aber ich habe schnell geschaltet, als ich sah, dass von Brissago aus Boote fahren. Also bin ich dorthin. Du warst schon an Bord, als ich im Hafen ankam. Dass das Boot nach Locarno fuhr, war nicht schwer rauszufinden. Ich dachte mir, dass du von dort aus mit dem Zug weiterwillst. Deshalb hab ich am Bahnhof gewartet, bis ich dich kommen sah.«
    Nathalie hat kaum zugehört. Den Blick zum Fenster gewandt, sieht sie die Bahnhöfe kleinerer Ortschaften vorbeiziehen. In einer halben Stunde erreichen sie Arth-Goldau. Dort wird er sie zwingen, mit ihm auszusteigen, notfalls indem er sie und das Kind mit der Pistole bedroht. Sie muss weg von ihm, und zwar schnell.
    Mit wackligen Knien steht sie auf. »Ich geh eben mal zur Toilette.«
    Vincent streckt die Hände nach Robbie aus. »Gib mir den Kleinen so lange.«
    »Ich nehme ihn mit.«
    »Nun hab dich nicht so. Ich pass schon auf ihn auf.«
    »Robbie ist völlig durch den Wind, die letzten Tage haben ihm ganz schön zugesetzt. Wenn er nicht bei mir ist, schreit er wie am Spieß.«
    Zu ihrer Erleichterung nickt Vincent.
    »Gut, dann nimm ihn mit. Ich begleite euch.«
    Mit dem Kind auf dem Arm geht Nathalie vor ihm her, zwei Waggons weiter.
    Sie betritt das WC, schließt ab und lässt sich auf den Toilettendeckel sinken.
    Hier will sie bis zum nächsten Halt bleiben.
    Vincent wird vor der Tür warten, es aber nicht wagen, sie einzutreten. Und wenn der Zug in den Bahnhof einfährt, steigen so viele Leute aus und ein, dass sie sich wieder herauswagen kann.
    Sie stellt die Tasche ab, setzt Robbie auf ihr Knie und beginnt leise zu singen: »Hoppe, hoppe Reiter …«
    Nach ein paar

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