Am Helllichten Tag
aufkreuzen würde.«
Bob hält es nicht für nötig, darauf zu antworten.
Sjoerd spielt mit seinem Kugelschreiber und sagt: »Ich glaube, Sie binden uns einen Bären auf. Sie wollten überhaupt nicht zu Ihrer Freundin, sondern hatten etwas ganz anderes vor.«
»Klar wollte ich zu der. Sie heißt Nathalie. Zufrieden?«
»Nachname?«
»Wie? Sie kennen nicht ihren vollständigen Namen? Ich kann’s kaum glauben … Wo sie Ihnen doch das Herz ausgeschüttet hat.« Er lächelt spöttisch. »Warum interessieren Sie sich so sehr für meine Freundin?«
Sjoerd ignoriert die Frage. »Was wollten Sie in dem Haus?«
»Das hab ich doch gesagt: meine Freundin besuchen.«
»Warum? Was wollten Sie von ihr?«
»Eine Aussprache. Mann, muss ich alles zweimal sagen? Fragen Sie sie doch selbst!«
Julia wirft Sjoerd einen vielsagenden Blick zu.
Bob merkt es.
»Was ist los? Wo ist Nathalie? Etwa hier auf dem Revier? Ich will mit ihr reden!«
»Da sind Sie nicht der Einzige«, sagt Sjoerd.
Eine gute Stunde ist vergangen, und sie sind kaum einen Schritt weiter.
Bob wird in seine Zelle gebracht.
Anschließend erstatten Julia und Sjoerd ihrem Vorgesetzten, der inzwischen wieder auf dem Revier ist, Bericht.
»Sie haben den Mann im Haus Ihrer Großmuter verhaftet, Frau Vriens«, beginnt er. »Wie kommen Sie dazu, ihn zu ver nehmen?«
»Es war niemand sonst da, und die Sache war dringend, weil wir Nathalie möglichst bald finden müssen.«
»Nicht gerade professionell. Ausnahmsweise will ich ein Auge zudrücken, aber von nun an halten Sie sich in diesem Fall bitte zurück – haben wir uns verstanden? Was hat die Vernehmung ergeben?«
»Nicht viel«, meint Sjoerd bedauernd. »Solange die Ergebnisse der kriminaltechnischen Untersuchung nicht vorliegen, haben wir ihm wenig vorzuwerfen. Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob wir seinen richtigen Namen wissen.«
»Ich weiß ihn.« Ramakers greift nach einer Akte. »Rietta hat mir gesagt, dass Sie den Burschen vernehmen, da hab ich mal kurz einen Blick riskiert. Und ich kenne diesen Bob, allerdings unter einem anderen Namen: Vincent van Assendelft. Er stammt aus Roermond und hat bisher hauptsächlich von Amsterdam aus agiert. Man legt ihm eine ganze Reihe von Verbrechen zur Last, aber er ist ein aalglatter Typ und konnte sich der Justiz bisher immer entziehen, weil er so diskret vorgeht.«
»Wenn ich an das Chaos in Nathalies Zimmer denke, scheint er seine Taktik geändert zu haben«, bemerkt Julia. »Aber ich bezweifle inzwischen, ob er überhaupt dahintersteckt. Dass er Nathalie erst entführt, um dann noch mal am gleichen Ort aufzutauchen, leuchtet mir einfach nicht ein. Selbst wenn er Spuren beseitigen wollte – ihm muss doch klar gewesen sein, dass die Polizei längst da war.«
»Sie meinen also, er hat nichts damit zu tun?«, fragt Ramakers.
»Nein, das nun auch wieder nicht: Er ist Nathalies Ex und hat sie verfolgt, insofern hat er durchaus mit der Sache zu tun. Er hat sie ausfindig gemacht und wollte sie stellen, sonst wäre er wohl nicht mit einer Waffe ins Haus eingedrungen. Nur kam er einen Tag zu spät. Ich könnte mir vorstellen, dass Nathalie das Durcheinander selbst inszeniert hat, um einen Einbruch vorzutäuschen, vielleicht, weil sie hofft, dass der Kerl sie in Ruhe lässt, wenn erst einmal die Polizei eingeschaltet ist. Falls ja, hat sie erreicht, was sie wollte: Er ist verhaftet und kann sie nicht mehr verfolgen.«
»Das klingt plausibel«, sagt Ramakers.
»Dann können wir van Assendelft also keine Entführung vorwerfen«, meint Sjoerd.
»Stimmt genau. Aber das heißt noch lange nicht, dass wir ihn laufen lassen müssen. Wir haben jede Menge Gründe, ihn eine ganze Weile festzuhalten.«
Nachdenklich verlässt Julia das Büro ihres Chefs. Von all den Fragen, die sie beschäftigen, drängen sich zwei immer mehr in den Vordergrund: Was hat der Unfall ihrer Oma mit der Sache zu tun? Und vor allem: War der Sturz überhaupt ein Unfall?
33
Nachdem sie ohnehin schon auf dem Revier ist, geht Julia nach dem Gespräch mit Ramakers an ihren Schreibtisch, checkt ihre Mails und macht sich daran, das Vernehmungsprotokoll zu tippen.
Schräg gegenüber sitzt Sjoerd. Als sich ihre Blicke über den Rand des Bildschirms hinweg treffen, sieht er rasch weg und gibt sich den Anschein, ganz in die Arbeit vertieft zu sein.
Ein leises Unbehagen beschleicht Julia. Will er etwa so tun, als wäre nichts gewesen? Drei lange Jahre hat sie sich erträumt, was heute Wirklichkeit
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