Am Helllichten Tag
und sich vergewissern, dass den Spurensicherern auch nichts entgangen ist.
Als sie ihn durch die halb geschlossene Jalousie kommen sieht, wird ihr klar, dass es besser gewesen wäre, sein Angebot abzulehnen.
Die Art, wie er aus dem Auto steigt, herschaut, auf die Tür zugeht – alles wirkt zögerlich, so als würde er am liebsten rasch wieder kehrtmachen.
Es klingelt, Julia öffnet, und sie stehen einander gegenüber.
Sie weicht seinem Blick aus, tritt ein wenig beiseite.
Die Hände in den Taschen seiner schwarzen Lederjacke vergraben, geht er ins Wohnzimmer, dann erst dreht er sich um.
»Es tut mir unendlich leid für dich.«
Eigentlich sagt er das Gleiche wie viele Leute, die ihr inzwischen ihr Beileid ausgesprochen haben, trotzdem klingt es bei ihm anders.
Statt sich mit einem leichten Nicken dafür zu bedanken, sieht Julia ihn groß an, tiefen Schmerz im Blick.
Spontan breitet er die Arme aus, und sie lässt sich hineinfallen, klammert sich an ihn wie eine Ertrinkende, während er ihr übers Haar streicht.
Dass aus der freundschaftlich-tröstenden Umarmung mehr wird, hat keiner von beiden geplant. Doch jetzt brechen sich lange unterdrückte Gefühle endlich Bahn.
Julia hebt den Kopf, und Sjoerd beugt sich gleichzeitig zu ihrem Mund herunter.
Sie nimmt seinen Duft wahr, spürt die Bartstoppeln, die unerwartet weichen Lippen.
Von seinem Kuss wird ihr ganz heiß, sodass auch ihr letzter Rest Widerstand samt Schuldgefühlen dahinschmilzt. Sie öffnet die Lippen.
Erst als sie beide aufs Sofa fallen, lösen sie sich kurz voneinander und sehen sich an, so als suchten sie die Antwort auf eine nie gestellte Frage.
Mit einem Schlag ist alles anders. Das ist nicht nur ein schöner Traum, das ist Realität. Julia liegt in Sjoerds Armen, den Kopf an seine Brust geschmiegt, und lauscht auf das Klopfen seines Herzens.
»Wie soll es jetzt weitergehen?«, flüstert sie. Im nächsten Mo ment denkt sie, dass es noch viel zu früh für so eine Frage ist – womöglich setzt sie ihn damit unter Druck.
»Keine Ahnung. Was wir da machen, ist der reine Wahnsinn.«
Ja, aber ein allzu schlechtes Gewissen scheint Sjoerd nicht zu plagen, denn er macht keine Anstalten, sie loszulassen.
Mit aller Macht verdrängt Julia jeden Gedanken an Melanie und Joey, die wie Schatten vor ihrem inneren Auge aufgetaucht sind. Ein einziges Mal will sie ihre Gefühle ausleben, und darauf hat sie ein Recht, nach allem, was sie verloren hat.
Sie wehrt sich nicht, als Sjoerd die Hand unter ihre Bluse schiebt, und genießt den wohligen Schauder, als er über ihre nackte Haut streicht.
Sie zerzaust sein dunkles Haar, erst zögerlich, dann mit Genuss. Seit einer Ewigkeit hat sie sich das gewünscht!
Seine Finger finden den Verschluss ihres BH s, lösen ihn gekonnt.
Er zieht ihr die Bluse aus und beginnt, ihre Brüste zu liebkosen.
Im Nachhinein fragt sich Julia, wie weit sie wohl gegangen wären – wahrscheinlich bis zum Letzten, die Versuchung war einfach zu groß. Ja, sie hätten miteinander geschlafen, aber wie es gewesen wäre, wird sie nie erfahren, denn als sie kurz über Sjoerds Rücken hinweg zum Fenster schaut, sieht sie etwas, bei dem ihr jede Erregung vergeht.
Ein hochgewachsener Mann in schwarzen Jeans und schwarz weiß gestreiftem Hemd steht auf dem Bürgersteig gegenüber und fixiert das Haus mit einem Blick, der bei Julia sämtliche Alarmglocken klingeln lässt.
Sie fährt hoch. »Sjoerd! Da ist jemand!«
Verdutzt sieht er sich im Zimmer um und wendet dann den Kopf, als sie aufgeregt zum Fenster zeigt.
»Das muss der Kerl sein, der Nathalie verfolgt. Guck doch, wie er herstarrt! Schnell weg hier – er darf uns nicht sehen!« Hastig zieht Julia sich an.
»Wovon redest du? Woher willst du wissen, dass er es ist? Es könnte doch auch irgendein Passant sein«, meint Sjoerd.
»Ganz bestimmt nicht! Komm, wir müssen uns verstecken!«
Als sie geduckt in die Küche laufen, schlägt Emmas altmodische Türklingel an. Nach ein paar Minuten ein zweites Mal.
Julis späht durch den Türspalt und zuckt zurück. »Er steht am Fenster und guckt rein«, flüstert sie. »Ich bin mir ganz sicher: Das ist Nathalies Ex. Was jetzt?«
»Am besten warten wir ab«, meint Sjoerd. »Wenn er Nathalie sucht, wird er’s gleich an der Hintertür versuchen. Ich finde das allerdings reichlich seltsam, wo er sie doch entführt hat.«
Sie warten. Julia denkt schon, dass es besser gewesen wäre, aufzumachen und den Mann gleich zu stellen, als
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