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Am Helllichten Tag

Am Helllichten Tag

Titel: Am Helllichten Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone van Der Vlugt
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konnte sie sich nur so an der Nase herumführen lassen? Ihre Intuition, deren sie sich sonst so rühmt, scheint diesmal komplett versagt zu haben.
    Hätte sie Nathalie nicht blind geglaubt, sondern nachgehakt, wäre die kleine Luna jetzt wieder bei ihren Eltern, und ihre Großmutter würde noch leben.
    Sie spürt eine Hand auf der Schulter.
    »Ich gehe jetzt in den Verhörraum. Kommst du mit?«
    Sie nickt, steht auf und folgt Sjoerd. Im Flur drückt er ihre Hand, ganz kurz nur, doch es reicht, dass sie sich ein wenig getröstet fühlt.
    Julia geht in den Raum nebenan, um das Gespräch durch die einseitig verspiegelte Glaswand mitzuverfolgen.
    Vincent sitzt bereits am Tisch, neben ihm stehen zwei Polizisten.
    Sjoerd tritt ein, nimmt ihm gegenüber Platz und verschränkt die Arme. »Ihre Freundin hat ein Baby entführt, Herr van Assendelft. Ich schätze mal, das hat sie auf Ihr Geheiß hin gemacht.«
    Vincent sieht ihn nur wortlos an.
    »Warum hat Ihre Freundin Sie niedergeschlagen? Um das Kind vor Ihnen zu schützen?«
    Stille.
    »Gehen wir einmal davon aus, dass es so war«, fährt Sjoerd fort. »Und davon, dass Sie die Entführung der kleinen Luna van Meerdonk veranlasst haben.«
    »Blödsinn! Das war Nathalies Idee. Mit der Sache habe ich nichts zu tun!«
    »Natürlich nicht. Sie sind die Unschuld in Person.«
    »Genau.«
    »Und wenn ich Ihnen das nicht glaube?«
    Ein spöttisches Lächeln umspielt Vincents Mund. »Dann ist das Ihr Problem.«
    Demonstrativ lehnt er sich zurück und schaut zur Decke.
    Sosehr Sjoerd sich auch bemüht, ihn aus der Reserve zu locken – er schweigt eisern.
    Mit einem Seufzer macht Julia sich auf den Weg in ihr Büro. Auf dem Flur kommt ihr Ari entgegen und grinst hämisch.
    »Eine echte Heldentat, Frau Kollegin. Ein entführtes Kind auf dem Schoß haben und nichts merken. Meine Hochachtung.«
    Julia bleibt stehen. »Du kannst mich nicht provozieren, Ari. Wenn du glaubst, ich würde mich auf dein Niveau herablassen, hast du dich geschnitten. Also spar dir deinen dämlichen Kommentar.«
    Nach diesen Worten geht sie einfach weiter.
    Im Büro setzt sie sich an ihren Schreibtisch und starrt gut zehn Minuten auf den Monitor, bis sie merkt, dass jemand neben ihr steht.
    »Frau Vriens?«
    Sie dreht sich halb um und begegnet Ramakers’ Blick. Der setzt sich auf die Kante ihres Schreibtischs und mustert sie besorgt.
    Julia streicht sich nervös eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
    »Sie hat Lunas blonde Löckchen abgeschnitten und ihr Jungenkleidung angezogen«, sagt sie leise. »Das Kind hatte immer eine Mütze auf – das hätte mir doch auffallen müssen! Ich habe keine Kinder, deshalb sieht für mich ein Baby aus wie das andere. Trotzdem hätte ich es merken müssen, ich …«
    »Niemand macht Ihnen irgendeinen Vorwurf«, beruhigt sie der Hauptkommissar. »Überlegen Sie lieber, was Sie über die Frau wissen. Schreiben Sie alles auf, was sie zu Ihnen gesagt hat, einverstanden?«
    »Einverstanden.« Julia zieht die Tastatur zu sich heran. »Ich werde mir Mühe geben.«
    »Wenn Ihnen etwas Wichtiges einfällt, rufen Sie mich bitte sofort an, ja?«
    »Sie hat erzählt, dass ihre Eltern tot sind«, sagt Julia. »Wir haben uns ja auf dem Städtischen Friedhof kennengelernt. Vielleicht sind sie dort begraben.«
    »Wissen Sie, an welchem Grab sie war?«
    Julia schüttelt den Kopf. »Nein. Aber ich weiß noch, aus welcher Richtung sie kam. Und dass sie einen Strauß Sonnenblumen dabeihatte, als sie das erste Mal an mir vorbeiging.«
    Ramakers horcht auf. »Sonnenblumen …«, wiederholt er.
    Trotz der einsetzenden Dämmerung ist es noch einigermaßen hell auf dem Friedhof.
    Julia und Sjoerd haben das Auto am Eingang abgestellt. Beide sind mit Taschenlampen ausgerüstet für den Fall, dass sie das Grab nicht so schnell finden und im Dunkeln weitersuchen müssen.
    Über den asphaltierten, von Hecken gesäumten Mittelweg gehen sie zu den Gräberparzellen und schlagen dann, auf Julias Zeichen hin, einen Pfad nach links ein.
    Ein Stück weiter bleibt sie vor einer Holzbank stehen.
    »Hier habe ich gesessen. Und Nathalie kam von dort.«
    »Hast du sie an einem bestimmten Grab gesehen?«
    »Nein, dazu war sie zu weit weg. Weiterhelfen kann uns nur der Strauß. Hoffentlich sind nicht noch andere Leute auf die Idee gekommen, die Gräber ihrer Lieben mit Sonnenblumen zu schmücken.«
    Sie gehen in die Richtung, die Julia angibt, und lassen den Blick über die Gräber schweifen. Die meisten wirken

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