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Am Helllichten Tag

Am Helllichten Tag

Titel: Am Helllichten Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone van Der Vlugt
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Menschen zu kommen und vielleicht neue Freunde zu finden.
    Sie stellt sich vor, wie sie am Strand mit Robbie Ball spielt, wenn er größer ist. Wie sie zusammen schwimmen – ach, es könnte so herrlich sein.
    Nathalie greift nach hinten, wo Robbie mit einer Stoffpuppe mit Glöckchen an der Mütze spielt, und streichelt seine Hand.
    »Na, wie wär’s, mein Kleiner: Wollen wir beide nach Portugal fahren?«
    Ganz so, als würde er sie verstehen, schwenkt er begeistert die Puppe.
    Nathalie lächelt.
    Sie dreht sich wieder um, und ihr Lächeln erstirbt, weil ihr klar wird, dass jede weitere Flucht mit dem Kind Wahnsinn wäre. Sie muss es hergeben, auch wenn es wehtut – es ist besser so. Ohne Baby ist sie flexibler, und Portugal ist weit weg.
    Sie überschlägt im Kopf die Kilometer und wie lange sie für die Reise brauchen wird.
    Vorhin war Portugal nur ein spontaner Gedanke, jetzt wird es mehr und mehr zu einem festen Ziel, einem Traumziel, nach dem sie sich fast schon sehnt.
    Endlich kommt Ilse van Meerdonk aus dem Haus. Sie steigt ins Auto, einen gediegenen Mercedes, und betätigt den Öffner für das Eingangstor. Es schließt sich automatisch hinter ihr.
    Nathalie lässt das Auto an und fährt in einiger Entfernung hinter ihr her.
    Auf dem Parkplatz eines großen Einkaufszentrums stellt Ilse den Mercedes ab.
    Nathalie folgt ihr unauffällig, was bei den vielen Leuten, die den Samstag zum Einkaufen oder Bummeln nutzen, kein Prob lem ist.
    Scheinbar ziellos schlendert Ilse an den Schaufenstern vorbei, bleibt hier und da stehen, betritt aber keines der Geschäfte.
    Wahrscheinlich will sie gar nicht einkaufen, sondern sucht nur Ablenkung, denkt Nathalie, weil sie es nicht mehr aushält, auf einen Anruf zu warten, der doch nicht kommt. Oder womöglich auf eine schlimme Nachricht.
    Nach zehn Minuten nimmt Ilse auf einer Bank vor einer Eisdiele Platz. Sie wirkt erschöpft, hat anscheinend nicht mehr die Energie, so zu tun, als würde ihr das Bummeln Spaß machen.
    Nathalie setzt sich neben sie. Ohne Robbie – das Kind hat sie im Auto gelassen.
    »Hallo, Ilse.«
    Verdutzt wendet Ilse ihr das Gesicht zu.
    Nathalie hat nicht den Eindruck, dass sie sie erkennt. Kein Wunder, da sie eine blonde Perücke trägt.
    »Du kennst mich wohl nicht mehr, was? Wir haben früher beide in Roermond gewohnt. Ich bin Dagmar.«
    Der Name scheint bei Ilse keine Erinnerung auszulösen. Nathalie spürt, wie Wut in ihr aufsteigt. Jahrelang hat diese Frau sie immer wieder beschäftigt, doch Ilse scheint nie mehr einen Gedanken an sie verschwendet zu haben.
    »Dagmar Dalhuijs«, hilft sie ihr auf die Sprünge. »Du hast meine Mutter und meinen kleinen Bruder totgefahren, aber das hast du wohl vergessen, was?«
    Die harten Worte haben den gewünschten Effekt: Ilse van Meerdonk zuckt zusammen.
    »O Gott«, sagt sie leise. »Du bist das? Ich habe dich gar nicht erkannt. Damals warst du erst elf oder zwölf, nicht?«
    »Zehn«, korrigiert Nathalie. »Ich war zehn, als du meine Familie zerstört hast.«
    Ilse zupft nervös an ihrer Jacke und will etwas sagen, doch da baut sich die Verkäuferin vor ihnen auf und macht sie, nicht eben freundlich, darauf aufmerksam, dass die Bank ausschließlich für Kunden gedacht sei. Wenn sie nichts konsumieren möchten, sollten sie doch bitte …
    »Zwei Eiswaffeln mit Sahne, bitte«, sagt Nathalie schnell.
    »Wie viele Kugeln?«
    »Je drei«, sagt Nathalie. »Schoko, Erdbeere und Vanille. Heute lassen wir’s uns mal richtig gut gehen.«
    Ilse sieht sie scheu von der Seite an.
    »Es tut mir leid, was damals passiert ist, aber ich konnte nichts dafür. Es war ein Unfall.«
    »Das Eis, bitte!« Die Verkäuferin beugt sich über die Theke.
    Nathalie steht auf, bezahlt und gibt Ilse eine Eiswaffel. Dann setzt sie sich wieder und leckt an der Sahne.
    »Es war ein Unfall«, wiederholt Ilse. »Das Ganze tut mir unsagbar leid, aber …«
    »Du warst besoffen«, fällt Nathalie ihr ins Wort. »Am helllichten Tag, wohlgemerkt! So besoffen, dass du Schlangenlinien gefahren bist und meine Mutter und meinen Bruder auf dem Bürgersteig umgefahren hast.«
    »Ich war damals neunzehn. Ich weiß, das ist keine Entschuldigung, aber in dem Alter schlägt man schon mal über die Stränge, und es war Karneval. Nach dem Unfall habe ich keinen Alkohol mehr angerührt, das kannst du mir glauben. Für mich war das Ganze auch furchtbar.«
    »Robbie war gerade mal sechs Monate alt. Er hat so süß gelacht, wenn ich ihn gekitzelt habe, und

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