Am Helllichten Tag
ins Freie. Hinter ihnen flackert es orangerot.
Sjoerd rennt an Julia vorbei auf die Haustür zu.
»Nicht! Das hat keinen Sinn!«, schreit sie.
»Ich hol das Kind raus!«, ruft er und zeigt nach oben.
Auch im Dachgeschoss sind die Fenster zersprungen, aber noch scheint es oben nicht zu brennen.
Julia hastet zum Eingang und sieht, wie er im Sturmschritt die Treppe hinaufeilt, deren untere Stufen schon in Brand stehen.
Dichter Rauch quillt ihr entgegen und zwingt sie zurückzuweichen.
Der Hof ist jetzt voller Polizisten. Ramakers fordert gerade die Feuerwehr und mehrere Krankenwagen an.
Er lässt das Telefon sinken und stößt einen Fluch aus. »Himmelherrgott! Was fällt bloß diesem Idioten von Volleberg ein? Reicht es nicht, wenn zwei draufgehen?«
Inzwischen schlagen hohe Flammen aus den unteren Fenstern.
»Wenn die Frau und das Kind bei der Explosion unten waren, werden sie wohl kaum überlebt haben«, sagt einer der Polizisten. »Wir haben im Wohnzimmer eine Leiche gesehen, konnten sie aber nicht aus der Nähe betrachten.«
Julia wird eiskalt vor Angst, als sie den Blick zu den Mansardenfenstern hebt. Lange kann es nicht mehr dauern, bis auch der obere Stock brennt. Dabei ist das Feuer nicht einmal ihre Hauptsorge, viel gefährlicher ist das giftige Zyanidgas, das entweicht, wenn Teppichböden und Polstermöbel verbrennen. Es kann innerhalb kürzester Zeit tödlich wirken.
Endlich geht oben ein Fenster auf, und sie sieht Sjoerd, schwer keuchend, inmitten einer Rauchwolke. Von Hustenkrämpfen geschüttelt, hievt er sich mit letzter Kraft über den Sims auf das Walmdach, das keinerlei Halt bietet.
Er rutscht über die Dachrinne und schlägt dumpf am Boden auf.
Julia rennt hin und kniet neben ihm nieder.
»Um Himmels willen, Sjoerd! Mach die Augen auf! Sag was!«
Sie streicht über sein verrußtes Gesicht, berührt ihn sanft an den Schultern.
Keine Reaktion.
Was jetzt? Stabile Seitenlage? Oder besser nichts unternehmen? Womöglich hat er sich bei dem Aufprall einen Wirbel gebrochen, dann könnte jede falsche Bewegung zu einer Querschnittslähmung führen.
Julia registriert, dass seine Atmung immer wieder aussetzt. Sie tastet nach seinem Puls, spürt ein schwaches, unregelmäßiges Pochen. Als sie die Wange an seinen Mund hält, ist da kein Luftstrom.
»Atmet er noch?« Ramakers hat sich auf Sjoerds andere Seite gekniet. Seine grauen Augen mustern Julia angespannt und zugleich forschend.
»Nein, ich muss ihn beatmen.«
Mit einem Mal wird sie vollkommen ruhig, führt sich Schritt für Schritt vor Augen, was sie im Erste-Hilfe-Kurs gelernt hat.
Sie schiebt die Hand unter Sjoerds Nacken, um den Hals zu überstrecken, dabei öffnet sich sein Mund. Dann legt sie eine Hand auf seine Stirn, klemmt die Nase mit zwei Fingern zu und hält die andere Hand an sein Kinn.
Ein tiefer Atemzug, und schon umschließen ihre Lippen seinen Mund, bläst sie Luft in seine Lunge.
Dabei behält sie aus dem Augenwinkel stets seinen Brustkorb im Blick. Als er sich hebt, richtet sie sich ein wenig auf, atmet tief ein und fährt mit der Atemspende fort, als die Brust sich wieder senkt. Das wiederholt sie alle paar Sekunden.
Sie hat das Gefühl, dass Stunden vergangen sind, als jemand anbietet, sie abzulösen. Aber sie winkt ab. Undenkbar, dass sie jetzt, wo es um Leben und Tod geht, einen anderen an Sjoerd heranlässt.
Wie aus weiter Ferne dringt Sirenengeheul an ihr Ohr. Dann fährt auch schon ein Feuerwehrauto vor, dahinter folgen zwei Krankenwagen.
Sie spürte eine Hand auf der Schulter und sieht auf in das Gesicht eines Sanitäters.
Erst jetzt stellt sie die Mund-zu-Mund-Beatmung ein und merkt, wie erschöpft sie ist.
44
»Die Feuerwehrleute sagen, der Brand habe sich rasend schnell ausgebreitet«, sagt Ramakers. »Sie haben im Erdgeschoss zwei verschmorte Kanister gefunden. Sieht ganz so aus, als hätte Dagmar überall Benzin ausgegossen.«
»Das Weib muss wahnsinnig geworden sein!« Ari schüttelt fassungslos den Kopf.
»Sie hat keinen anderen Ausweg mehr gesehen«, sagt Julia dumpf.
Sie stehen vor dem Haus und warten, bis die Nachlöscharbeiten abgeschlossen sind.
Ein Feuerwehrmann kommt heraus, den Helm unterm Arm. »Wir sind so weit – Sie können rein. Im Wohnzimmer liegt eine Leiche, ein Erwachsener.«
»Und das Kind? War irgendwo ein Baby?«, fragt Ramakers.
»Ich habe kein Kind gesehen. Aber meine Kollegen gehen gerade ein letztes Mal durchs Haus, vielleicht finden sie es ja. Bei dem vielen
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