Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
auf Mr Dillon, ehe wir uns auf den Weg machen.« Schweigend saßen sie da, jeder in seine Gedanken versunken.
»Grace hat also beschlossen, doch im Laden zu bleiben?«, erkundigte Rhia sich schließlich bei Sid.
»So ist es. Sie meint, sie sieht keinen Grund, weshalb sie ihre Stellung aufgeben sollte, nur weil wir verheiratet sind. Ich frage mich, ob Sie ihr wohl diese Idee in den Kopf gesetzt haben, Miss Mahoney?«
Rings um den sicheren Zufluchtsort der Kutsche drängte und schubste sich London so lautstark wie an jedem anderen Tag. Es konnte einige Zeit dauern, bis Mr Dillon kam, wenn die Straßen den ganzen Weg von Westminster so voll waren. Wohin Rhia jetzt auch blickte, sah sie die Geister von Teilen von sich: junge Frauen in käfigartigen Krinolinen, die andächtig vor schicken Läden standen, als könnten diese Orte sie durch Zauberhand in jemand anderen verwandeln. Sie empfand keine Ehrfurcht mehr vor der Hauptstadt, sie war zwar dort, aber sie war nicht ein Teil davon.
Schließlich hielt Isaacs Kutsche neben ihnen, begleitet von zwei Polizisten zu Pferde. Mr Dillon saß auf dem Kutschbock, die Zügel in der Hand. Er trug sein Haar offen und einen schwarzen Hut mit schmaler Krempe zu seinem Ledermantel. Er sah aus, als sei er auf alles vorbereitet. Nach kurzer Absprache einigten sie sich auf einen Plan und fuhren weiter.
Während der gesamten Fahrt nach Belgravia spürte Rhia, wie beim Gedanken an Mr Montgomery die Wut in ihr aufstieg: Der Mann, den sie hatte beeindrucken wollen, den sie bewundert hatte. Ja, sie war ihm sogar dankbar gewesen! Nun fragte sie sich, ob er ihr deshalb eine Stelle angeboten hatte, weil er herausfinden wollte, was sie wusste. Wahrscheinlich hatte er gar nie vorgehabt, ihre Entwürfe zu verwenden.
Sie hielten neben einer kleinen Baumgruppe an, ein Stückchen von der Montgomery-Residenz entfernt. Die Polizisten würden am Tor warten, bis man sie rief. Wie vereinbart stiegen Rhia und Isaac die kalten Marmorstufen zum Vordereingang hinauf, als würden sie lediglich einen Besuch abstatten. Vor der beeindruckenden schwarzen Doppeltür, die alles verbergen konnte, blieben sie einen Moment lang stehen und sahen sich an. Isaac lächelte. Obwohl er angespannt wirkte, schien er gleichzeitig befreit, als wäre auch er einer Gefangenschaft entkommen. Sie warteten, bis Dillon, Michael und Sid an der Seite des Gebäudes entlang in Richtung des Dienstboten- und Händlereingangs verschwunden waren. Dann nickte Isaac.
Rhia griff nach dem schweren Messingklopfer.
Der Butler, ein kleiner, kompakter Mann mit säuerlicher Miene und bedrückter Ausstrahlung, öffnete die Tür. »Ja?«, fragte er.
»Wir möchten gerne zu Jonathan Montgomery«, erklärte Isaac.
»Es tut mir leid, Sir, aber die Herrschaften sitzen beim Essen.«
Isaac nickte ohne jegliches Mitgefühl. »Ich schlage vor, dann unterbrechen Sie den Lunch. Vielleicht könnten Sie uns direkt den Weg zum Speisezimmer zeigen?«
»Das kommt überhaupt nicht in Frage.« Die Stimme des Butlers blieb höflich.
»Ich verstehe«, erwiderte Isaac. »Draußen auf der Straße warten zwei Wachmänner, und ich würde sie zu diesem Zeitpunkt nur ungern mit einbeziehen.« Die grauen Augenbrauen des Angestellten schossen in die Höhe, und er schielte über Rhias Schulter hinweg in Richtung Tor. Dann trat er sofort zur Seite und ließ sie ein.
Obwohl der Butler sich beeilte, schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis sie das Speisezimmer erreichten, das tief im Innern des Hauses lag. Blutrote Wände und eine dunkle Holzvertäfelung zu beiden Seiten lösten in Rhia klaustrophobische Gefühle aus. Ihr Herz begann heftig zu schlagen. Was, wenn die anderen sich keinen Eintritt verschaffen konnten oder sich im Haus verliefen?
»Es besteht kein Anlass, uns anzukündigen«, sagte Isaac leise, als sie schließlich die richtige Tür erreichten. »Und wenn Sie mir den Rat erlauben, so würde ich mir an Ihrer Stelle rasch einen neuen Arbeitgeber suchen.« Der arme Mann schüttelte verwirrt den Kopf und eilte davon.
Das Speisezimmer war nur spärlich beleuchtet und die Vorhänge fast vollständig zugezogen. Mr und Mrs Montgomery, Mr Beckwith und Isabella saßen zusammen an einem Ende des langen Tisches. Zwei Kerzenleuchter brannten, als handle es sich um ein formelles Essen.
Als die Tür aufging, blickten alle vier erwartungsvoll auf, als hätten sie bisher geschwiegen, statt sich zu unterhalten. Prunella Montgomery sah furchtbar aus. Eine Haarsträhne hing ihr
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