Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
du dich nicht wenigstens schämst.« Sie erhob sich langsam und leicht schwankend. »Komm, Isabella, diese Herren haben mit deinem Vater noch etwas zu klären.«
Prunella und Isabella verließen das Zimmer, und Rhia sah Dillon fragend an. Er nickte. Es war an der Zeit, die Wachmänner zu rufen. Wenn sie noch etwas sagen wollte, dann musste sie es jetzt tun. »Es mag vielleicht Ihr Ziel gewesen sein, mich zugrunde zu richten, oder vielleicht hatten Sie ja gar keine Absicht, außer mich aus dem Weg zu schaffen. Aber, was Sie getan haben, ist das genaue Gegenteil. Ich schätze mal, Sie haben mir indirekt einen Gefallen getan. Ich werde bald in London mein eigenes Tuch verkaufen.«
»Machen Sie sich doch nicht zum Narren«, keuchte er. »Sie würden niemals überleben. Der Handel ist eine Männerdomäne.«
»Natürlich. Deshalb ist also die Themse voller Dreck und der Himmel dunkel vor Schwefel und Kalk. Ich habe auf der Rajah viele Frauen kennengelernt, die ein Talent für den Handel haben«, es war wohl besser, Agnes’ Pläne nicht im Detail zu diskutieren, »aber Sie werden bald herausfinden, wie es ist, Menschen im Gefängnis kennenzulernen. Die meisten von ihnen werden gar keine richtigen Verbrecher wie Sie sein. Übrigens, Mr Beckwith, Ihnen ist am China Wharf eine Visitenkarte aus der Tasche gerutscht. Sie sollten vorsichtiger sein.«
Rhia drehte sich um, ohne Beckwith eines weiteren Blickes zu würdigen. Sie ertrug es nicht, ihn anzusehen.
Draußen in der Einfahrt gab sie den Wachmännern ein Zeichen und zog sich dann in die Kutsche zurück, um zu warten. Sie wickelte ihren Umhang fest um sich und atmete die kalte Luft ein. Am Himmel standen Wolken zart wie Perlmutt. Es regte sich kein Lüftchen. Wenn dieser Tag ein Stoff wäre, dann wäre es Chambertine, eine Mischung aus Leinen und Wolle – die robusten Fasern, die sich durch ihr ganzes Leben gewebt hatten.
Bald galoppierte einer der Polizisten an ihr vorbei die Straße hinauf und tippte dabei grüßend an seine schwarze Mütze. Vermutlich holte er den Polizeiwagen. Als die Tür der Kutsche aufging, erwartete Rhia einen ihrer Begleiter, doch es war Isabella.
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich bei Ihnen warte?« Isabella sah aus, als sei sie in der letzten Stunde sehr gereift, trotz der Chiffonrüschen unter ihrem Pelzmantel.
»Natürlich nicht.« Sie saßen eine Weile schweigen da. Rhia fragte sich, ob sie etwas Beruhigendes darüber sagen sollte, was im Haus vor sich ging. Aber ihr fiel nichts ein. »Das ist ein hübsches Kleid.«
Isabella lächelte schwach. »Um ehrlich zu sein, habe ich genug von Rüschen. Papa mag sie, aber ich hätte gerne etwas Eleganteres.« Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum. »Wie es scheint, ist er in Schwierigkeiten.«
»Es hat den Anschein.«
»Werde ich ihn im Gefängnis besuchen dürfen?«
»Das nehme ich an. Dann haben Sie also doch nicht geheiratet?«
»Nein. Papa hat gesagt, er ist nicht gut genug für mich, aber ich weiß, dass es in Wirklichkeit am Geld liegt. Anscheinend hat Papa doch nicht sehr viel. Ich werde Ballettunterricht nehmen, das wird mich aufmuntern. Mama sagt, ich darf.« Isabella musterte ihre Hände. »Es tut mir so leid, Miss Mahoney, was mit Ihnen passiert ist. Das haben Sie nicht verdient.«
Der schwarze Polizeiwagen fuhr vorbei, während sie sich über die oberflächlichsten Dinge unterhielten, die Rhia einfielen. Dann meinte Isabella, sie sollte sich besser von ihrem Vater verabschieden.
»Ich hoffe, Sie besuchen uns mal, Miss Mahoney?«
»Ich fahre bald nach Hause, aber ich komme wieder nach London, geschäftlich.« Das klang gut: geschäftlich .
Isabella ging, und die Männer kamen. Isaac kletterte auf seine Kutsche und bot an, Sid nach Hause zu fahren. Michael wollte gern oben beim Fahrer auf dem Kutschbock Platz nehmen. Dillon stieg zu Rhia in die Kutsche.
So saßen sie nebeneinander. Dillons Hand lag leicht auf der ihren. Seine Finger fuhren sanft über ihr Handgelenk. Dann wandte er sich ihr zu und strich ihr mit dem Daumen über die Wange und die Lippen, wobei er sich vorbeugte, bis sie seinen warmen Atem im Gesicht spüren konnte und seine Lippen auf ihren. Sie waren weicher, als Rhia es sich vorgestellt hatte. Seine Hände wanderten zu ihren Schultern und ihre Arme hinab, als würde er sie entkleiden. Sie blieben an ihrer Taille liegen, wo sie gegen ihre Hüfte drückten. Wo immer er sie berührte, erwachte ihre Haut zum Leben. Die Tiefe des Meeres, das Leuchten des Mondes
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