Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
Juliette«, sagte Dillon. »Mir liegen einige alte Zeitungen aus der Gegend von Manchester vor. Es gab da einen Betrugsfall, der es sogar in die Nachrichten geschafft hat, bei dem gefälschte Banknoten gegen Münzen eingewechselt wurden. Jeder Tausch fand an einem anderen Ort der Stadt statt und bei einer anderen Bank. Mehr als dreitausend Pfund wurden in und um Manchester herum innerhalb von zwei Jahren in Umlauf gebracht.«
Auf diese Weise, dachte Mr Dillon, war es John Hannam gelungen, sich in Jonathan Montgomery zu verwandeln, einen wenig bekannten Stoffmagnaten aus einer Adelsfamilie im Norden. Es war ein Leichtes, die Londoner Gesellschaft um den Finger zu wickeln – man brauchte dazu nur Geld, das einem ermöglichte, in noch mehr Geld einzuheiraten. Zweifellos war Prunella wie alle anderen hinters Licht geführt worden, verzaubert von den geschliffenen Manieren und den Aufmerksamkeiten eines gutaussehenden Mannes. Und dann war da noch die perfekte, gestochen scharfe Handschrift von Francis Beckwith. Auf Rhia hatte sie wegen seines Charakters irgendwie unpassend gewirkt, doch sie passte ausgezeichnet zu einem Fälscher. Sie hätte ihn sofort verdächtigen sollen, als sie die Handschrift auf der Visitenkarte des Jerusalem gesehen hatte.
Rhia schaute Dillon an. Michael und er bereiteten sich zum Aufbruch vor, als hätten sie sich stumm abgesprochen. Und es war nicht nur ein Zimmer voll weinender Frauen, das sie zum Gehen bewegte.
Auch Sid bemerkte es. »Ich komme mit«, erklärte er.
»Ich auch«, fügte Isaac hinzu. Antonia hielt sich immer noch an seinem Arm fest. Er sah sie an. »Falls du alleine zurechtkommst, Antonia?«
»Du liebe Güte!«, erwiderte sie empört. »Ich habe ein Geschäft zu leiten und einen Haushalt zu führen. Da bleibt mir keine Zeit, in Ohnmacht zu fallen.«
Isaac lächelte, und sein Gesicht verwandelte sich. Er betrachtete Antonia mit solcher Zärtlichkeit, dass Rhia den Blick abwenden musste. Wie konnte sie es bisher nie bemerkt haben?
»Wir können zwei zusätzliche Männer gut gebrauchen«, stimmte Michael zu.
Dillon nickte. »Ich nehme Isaacs Kutsche und fahre auf dem Weg in die Regent Street bei der Wache in Westminster vorbei. Ich bin mir sicher, die können ein paar Polizisten erübrigen, wenn ich nett darum bitte. Die wedeln ja immer gerne mit ihren Knüppeln den Leuten vor der Nase herum.«
»Montgomery könnte aber auch in Belgravia sein«, gab Sid zu bedenken.
»Ich komme auch mit«, erklärte Rhia, bereit ihre Position zu verteidigen. Sie begegnete Dillons Blick. Er öffnete den Mund, um zu protestieren, zögerte jedoch und nickte dann. Auch Michael sah sie scharf an, aber sie hielt stand. Schließlich zuckte er mit den Schultern. »Ich werde nicht mit dir streiten, denn wie ich sehe, hat das keinen Sinn. Ich schätze, es ist dein gutes Recht, den Mann zu beschuldigen, der deinem Haar das angetan hat.«
»Dann mal los!« Sid rieb sich die Hände, knöpfte seine Weste zu und rückte die Mütze zurecht, ganz so, als sei er auf dem Weg ins Varieté.
66
C HAMBERTINE
Unterwegs kamen sie überein, dass Sid zuerst allein in das Geschäft der Montgomerys gehen sollte, um nachzusehen, ob Mr Montgomery da war. Rhia würde ohne guten Grund keinen Fuß in den Laden setzen, und ihrer Meinung nach war kein Grund gut genug.
Der Kutschenstand der Regent Street befand sich direkt vor dem Geschäft, und sie hatten Glück und Schicksal auf ihrer Seite, denn bei ihrer Ankunft fuhr gerade eine Droschke weg. Sid verschwand im Laden, und Rhia beobachtete alles von der Kutsche aus, während Michael und Isaac draußen auf dem Bürgersteig standen. Mit seinem dicken Leinenhemd und den Hosen aus grober Wolle sah Michael aus, als käme er aus einer anderen Zeit. Er lehnte rauchend an einem Laternenpfahl und betrachtete das rege Treiben auf der Straße. Isaac unterhielt sich mit ihm. Sie gaben ein ungleiches Paar ab, der Quäker und der Abtrünnige. Unter den Londonern zogen sie jedoch kaum einen neugierigen Blick auf sich.
Feine Damen gingen in den Laden hinein und kamen wieder heraus. Rhia sah einen weiteren Geist ihres Selbst, der in einem anderen Leben in ihrem roten Umhang durch dieselbe Tür getreten war. Sie kannte diese Rhia kaum noch. Damals hatte sie sich für so welterfahren gehalten.
Nach ein paar Minuten kam Sid wieder heraus, und die Männer kletterten zurück in die Kutsche. »Grace sagt, ihr Herr ist zu Hause am Belgrave Square«, berichtete er. »Aber wir warten besser
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