Am Horizont die Freiheit
versorge ihn mit guten Informationen.«
»Das hat dich also vor dem Gerichtsdiener bewahrt, obwohl du gestohlen hast?«
»Aber selbstverständlich. Wir Familiaren der Inquisition dürfen nicht von den Zivilbehörden verfolgt werden. Nur die Inquisition selbst darf uns richten.«
Als Felip den Gesichtsausdruck Joans sah, triumphierte er. Ihm gehörte der endgültige Sieg.
»Du siehst es ja,
remensa
«, sagte er laut lachend. »Du hast geglaubt, du hättest mich besiegt, nicht wahr? Nun, wer zuletzt lacht, lacht am besten.«
»Du Hurensohn!«, schrie Joan, bevor er sich auf ihn stürzte.
Felip hielt das Buch fest und war nicht auf den Faustschlag gefasst, der ihm die Lippe spaltete. Und auch nicht auf den Hagel von Schlägen und Fußtritten, die danach kamen. Die Soldaten konnten Joan von ihm losreißen und schleppten diesen auf die Straße hinaus, wo die Übrigen bereits warteten. Der Gerichtsdiener ließ ihn zusammen mit den anderen antreten und verhinderte so, dass der übelzugerichtete Felip wieder auf ihn losgehen konnte.
Die Nachbarn kamen schweigend an der Tür des Buchladens zusammen. Die Fahne des heiligen Offiziums wurde hochgehalten, und mit einem unheilvollen Trommelwirbel machte der Zug sich auf den Weg zum Gefängnis der Inquisition. Dieses lag nicht weit entfernt an der Plaza del Rey, in den Kellern des Königspalastes, den ihr König Ferdinand überlassen hatte.
Die Reihe der Gefangenen betrat schon das Gebäude, als Joan sah, dass sich Felip unter den Schaulustigen befand. Trotz seiner gespaltenen Lippe lächelte er. Er hielt das geliebte Meisterstück über den Kopf: »Nimm Abschied. Du wirst es nie wiedersehen.«
Das kleine Vergnügen, die blutigen Lippen im Gesicht Felips zu sehen, entschädigte Joan nicht für den Schmerz, als ihm allmählich die ganze Katastrophe bewusst wurde. Der Verlust seines Meisterstücks war nichts im Vergleich zu der Tragödie, die ihnen nun bevorstand.
Die Gesellen und Lehrlinge wurden in einer großen Zelle mit Rundbogen eingesperrt. Sie lag tiefer als der Platz, von dem ein schwaches Licht ausging, das durch hohe Gitterfenster einfiel. Die Dienstmädchen steckte man in die Frauenzellen, und die Corrós sonderte man von den anderen ab. Abdalá setzte sich in eine Ecke und machte Joan ein Zeichen, dass er zu ihm kommen sollte. Er fasste ihn an den Händen und sagte: »Vielleicht verabschieden wir uns hier für immer.«
Joan starrte ihn erschrocken an. Er sah den Granadiner als seinen wahren Meister an, obwohl es Guillem und Pau waren, die ihn gelehrt hatten, wie man Bücher einband und das Leder für sein Meisterstück behandelte. Doch Abdalá hatte ihn unterrichtet, dass beides, Leib und Seele eines Buches, wichtig war. Er musste noch viel mehr von diesem gütigen Greis lernen.
»Warum sagt Ihr so etwas?«, fragte er ängstlich.
»Sobald sie herausbekommen, dass ich Muslim und Sklave bin, werden sie mich von Euch trennen.«
»Aber das verhindert nicht, dass wir uns wiedersehen.«
»Sohn, ich fürchte, dass die Buchhandlung Corró nie wieder öffnen wird«, sprach der Meister weiter. »Wenn ich überlebe, verkaufen sie mich wie irgendeinen anderen Gegenstand des Buchladens. Das Eigentum der Herrschaften wird beschlagnahmt, und die Inquisitoren werden so viel Geld herausholen, wie sie können. Ein Teil geht an den König, und mit dem Rest finanziert man dieses Schauspiel.«
»Aber ich muss noch so viel von Euch lernen!«, schluchzte Joan.
»Wie sehr würde es mir gefallen, dir mehr beizubringen!«, rief der Mann mit feuchten Augen. »Gib acht, ich wollte dich warnen, dass …«
Doch in diesem Augenblick hörte man einen Riegel knarren, und von der Tür aus rief jemand: »Ist der Maure Abdalá hier?«
Als Abdalá antwortete, befahl ihm der Mann, hinauszukommen. Der Greis und der Junge umarmten sich schweigend.
»Gott segne Euch, Meister«, sagte Joan unter Tränen, als sie sich trennten. »Hoffentlich sehen wir uns wieder.«
»Möge dies der Wille Allahs sein, Sohn.« Auch der Alte war gerührt. »Möge Er dich schützen.«
48
J oan hatte noch nie einen so riesigen Saal gesehen. Eine sehr große Holzdecke wurde von sechs gewaltigen, ungeheuer breiten steinernen Bogen getragen. Nicht einmal das Schiff der
Iglesia del Pi
, das weiträumigste Barcelonas, übertraf die Weite dieser Bogen. Das Licht drang nur durch zwei große Fenster auf der linken Seite und ließ das Ganze wie eine riesige Grotte aussehen. Das war der »Salón del Tinell«, der
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