Am Horizont die Freiheit
doch er konzentrierte sich auf den Entwurf seines Meisterstücks.
»Meisterstücke entstehen im Kopf. Bevor sie Wirklichkeit werden, ersinnen wir sie in unserer Phantasie«, sagte Abdalá. »Du musst das Werk in deinem Inneren vorbereiten. Je mehr du daran glaubst, je schöner du es dir vorstellst, desto besser wird es sein, wenn du es ausführst.«
Joan dachte darüber nach. Schließlich notierte er in seinem Buch: »Meisterstücke entstehen zuerst im Kopf.«
Er besuchte immer noch die Hafenschänken, aber weniger häufig, als lenke ihn das Meisterstück von seinen Familienpflichten ab. Allerdings blieb ihm ohnehin nichts anderes zu tun, als auf die Rückkehr der Flotte Vilamarís zu warten.
Endlich kam der Tag, an dem er seinen Entwurf in der La-Trinitat-Bruderschaft vorstellen sollte. Joan benutzte seine Skizzen, und bald wurde ihm klar, dass sehr wenige Lehrlinge Unterlagen mitbrachten und keiner so genaue vorlegte wie er. Die Übrigen erklärten lediglich ihre Idee, und ein Notar protokollierte den Entwurf und den Beschluss des Rates schriftlich. Den Meistern gefiel die Idee zu seinem Buch. Es sollte achtzig leere Blätter aus gutem Papier enthalten, in Ziegenleder gebunden sein, Bünde auf dem Buchrücken haben, und seine Vorderseite sollte eine gepunzte Kreuzigung mit Inkrustationen aus Blattgold zeigen. Es war ein großartiger Entwurf, und er wurde angenommen. Nun musste Joan nur noch ein Buch herstellen, das die Erwartungen nicht enttäuschte.
Sorgfältig berechnete er den Wert jedes Bestandteils, denn er musste die Materialien bezahlen. Der Kostenvoranschlag belief sich auf neunzehn Sueldos und sechs Kupfermünzen, etwas weniger als ein Pfund, und er beschloss, eines der roten Korallenstücke zu verkaufen, damit er es bezahlen konnte.
Mit einem guten Faden verband er die Bogen fest, die aus elfenbeinfarbigem Papier bestanden und die er auf die genaue Größe zuschnitt. Er entschied sich, für das gepunzte Leder des Deckels die Technik des kurzen Schlags anzuwenden. Hierfür brauchte er einen Holzschnitt mit dem Bild einer Kreuzigung, auf dem er das Leder prägen konnte. In der Buchhandlung gab es zwei Bücher, in denen Kreuzigungen abgebildet waren, doch es hätte Joan nichts genützt, eine zu kopieren. Er besuchte die Kirchen Barcelonas, machte sich Notizen, und schließlich fertigte er selbst eine Zeichnung an. Er hob die Hauptlinien hervor, denn beim Lederdruck ließen sich keine zarten Linien unterscheiden. Sobald er eine gute Zeichnung angefertigt hatte, suchte er ein Stück Brett aus vorzüglichem Nussbaumholz, und aufmerksam prüfte er die Holzmaserung. Darauf schnitzte er die Kreuzigung als Flachrelief, wie es seiner Skizze entsprach. Er hatte gutes Werkzeug, und er musste an die Zeit denken, als er mit kaum etwas mehr als einem Messer auf dem Boot seines Vaters den Walfang dargestellt hatte. Sobald er das geeignete Leder hatte, prägte er darauf die Kreuzigung und verzierte sie mit Rändern aus Blattgold, die sich auf dem Rücken und der hinteren Umschlagseite fortsetzten.
Wenige Tage vor Weihnachten stellte Joan sein Meisterstück fertig. Der Herr konnte eine Zusammenkunft für den 27 . Dezember vereinbaren, auf der Joan sein Werk vorstellen sollte. Das Ergebnis erregte inzwischen schon allgemeine Bewunderung.
»Du wirst in diesem Handwerk sehr gut sein«, prophezeite ihm Mosén Corró.
»Die Buchbinderei begeistert mich«, erklärte Joan. »Was ich aber wirklich will, ist, mit geschriebenen Büchern zu tun zu haben. Und dafür muss ich lesen lernen.«
»Sei nicht ungeduldig!«, herrschte ihn der Buchhändler an. »Deine Zeit wird schon noch kommen.«
Alle in der Werkstatt waren stolz auf die Arbeit des Jungen, und niemand zweifelte daran, dass die Prüfungskommission sie annehmen werde. Lluís brauchte noch einige Zeit, bis er sein eigenes Werk fertigstellen würde, doch er zeigte keinen Neid und half Joan bei allem, was er konnte. Es war eine Arbeit der gesamten Werkstatt Corró, und alle, die dazugehörten, rechneten sich die Qualität des Buches zur Ehre an. Der Herr beschloss, es an einem besonderen Platz in der Buchhandlung auszustellen, damit alle es von der Straße aus sehen konnten.
Joan wurde es nicht satt, sein Meisterstück zu betrachten. Es lag an der Stelle, die jenes prachtvolle Buch eingenommen hatte, das ihn bei seiner Ankunft in Barcelona in maßloses Staunen versetzt hatte.
Beim Weihnachtsmahl im Haus der Corrós trank man auf das Wohl des neuen Meisters,
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