Am Horizont die Freiheit
Kaufmann. »Ich weiß ja, dass Ihr für Felip alles Mögliche getan habt. Aber er ist auf die schiefe Bahn geraten.«
»Ich wollte ihn wie meinen eigenen Sohn behandeln«, sprach der Buchhändler mit gesenktem Kopf weiter. »Doch er ist gewalttätig, frech und egoistisch. Er hat das Alter und die Kenntnisse, um sein Meisterstück vorzulegen, aber ihm fehlt die nötige Moral, die ein Buchbindermeister aufweisen muss.«
»Werdet Ihr ihn anzeigen?«, erkundigte sich der Mönch.
»Ja, natürlich«, bestätigte er traurig. »So verlangen es die Vorschriften der Bruderschaft. Das tut mir in tiefster Seele weh. Ich habe versagt bei ihm.«
»Ich weiß genau, dass Ihr alles getan habt, was in Eurer Macht stand«, sagte Bartomeu. »Ihr habt das Andenken unseres Kameraden in größten Ehren gehalten. Macht Euch keine Vorwürfe.«
Er ging zu ihm und umarmte ihn. Der Buchhändler erwiderte die Umarmung kräftig.
»Seid wachsam«, sprach Bartomeu weiter. »Dieser Junge ist gefährlich.«
46
F elip und Joan begegneten sich am Eingang des Buchladens und warfen einander herausfordernde Blicke zu. Beide trugen die Bündel mit ihren Sachen. Der eine kam heraus, und der andere ging hinein. Joan war vorbereitet. Wenn Felip versuchte, ihn zu schlagen, würde er ihm geben, was er verdiente. Er hatte keine Angst mehr vor ihm. Doch der andere tat es nicht, und als das Duell der Blicke endete, deutete Joan ein triumphierendes Lächeln an, und Felip spuckte ihm vor die Füße.
»Daran werdet ihr noch denken«, drohte er. »Die Corrós werden dafür bezahlen, und du auch,
remensa
.«
»Geh zum Teufel, du Dieb und Betrüger!«, herrschte ihn Joan an. »Hoffentlich reißt dir der Gerichtsdiener die Haut mit Peitschenhieben herunter.«
Der Buchhändler rief vor dem Frühstück alle in der Werkstatt zusammen. Er erklärte, dass Joans Unschuld bewiesen sei und dass Felip gestohlen und Beweise gegen seinen Gefährten gefälscht habe. Er sei nicht nur aus seinem Haus, sondern aus der ganzen Bruderschaft ausgestoßen worden.
Die erste Umarmung, die Joan erhielt, bekam er von der Hausherrin. Unter Freudentränen sagte sie ihm, sie habe ihn immer für unschuldig gehalten, und sie freue sich über alle Maßen, dass die Wahrheit gesiegt habe. Danach umarmten ihn die Lehrlinge. Lluís bekundete die größte Herzlichkeit, und er tat so, als wäre er ebenso überrascht wie seine Gefährten. Es folgten der Meister und der Geselle. Alle schienen sich über Joans Rückkehr zu freuen und Felips Verschwinden mit Erleichterung aufzunehmen.
Doch am meisten freute er sich, dass er wieder zu seinem Meister ins
Scriptorium
gehen konnte. Er hatte sich so sehr nach der wohltuenden und gewohnten Tätigkeit gesehnt, Bücher zu kopieren! Noch mehr fehlten ihm die Gespräche, die er mit dem Granadiner in verschiedenen Sprachen geführt hatte. Auch sie umarmten sich.
Der Herr kam nach oben, um sie zu besuchen.
»Joan«, sagte er. »Ich habe nachgedacht, wie ich dich für das entschädigen kann, was du in diesen Tagen erlitten hast.«
»Es war nicht Eure Schuld.«
»Es war nicht meine Schuld. Aber du hast große Ehrlichkeit und Standhaftigkeit bewiesen.«
Der Junge schwieg und wartete darauf, was Mosén Corró sagen wollte. Er dachte, wenn der Herr von seinem Besuch bei der Hexe erfahren hätte, würde er vielleicht seine Meinung ändern.
»Darum und wegen deines Geschicks habe ich beschlossen, dir zu gestatten, der Bruderschaft deinen Entwurf des Meisterstücks vorzulegen.«
»Wirklich?« Joans Herz machte einen Satz. »Ich habe an den Entwürfen eines sehr schönen Buches gearbeitet! Ich kann sie in einer Woche vorlegen!«
»Es geht nicht um Schnelligkeit, sondern um Qualität«, mahnte ihn Abdalá. »Es geht um das Meisterstück.«
»Aber was geschieht mit Lluís und Jaume? Sie sind länger hier als ich.«
»Nicht alle machen gleiche Fortschritte«, erklärte der Herr. »Doch was Lluís betrifft: Auch er hat meine Erlaubnis, seinen Entwurf vorzubereiten.«
Joan lächelte glücklich. Trotzdem musste er noch etwas klären. »Darf ich nun lesen lernen?«, fragte er hoffnungsvoll.
»Nein. Noch nicht«, entgegnete der Herr nachdrücklich.
Der Lehrling schwieg enttäuscht und wechselte einen Blick mit Abdalá.
»Eines Tages wirst du verstehen, warum«, setzte Mosén Corró hinzu.
In den darauffolgenden Tagen wäre Joan vollkommen glücklich gewesen, hätte er nicht unter Annas Abwesenheit gelitten. Der Junge kopierte zwar weiterhin Bücher,
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