Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
Vom Netzwerk:
Aufseher ist, bedeutet das eine Beleidigung für ihn.«
    »Aber es muss eine Möglichkeit geben, so etwas anzuzeigen.«
    »Es kümmert sie nicht das Geringste, was man mit mir macht. Glaubst du etwa, dass sie es nicht wissen? An einem Tag in diesem Winter, in Barcelona, haben sie es ausgenutzt, dass die Offiziere an Land waren, um mich zu vergewaltigen.«
    »Was?!«
    »Ja, sie haben mich vergewaltigt, und meine Schreie hat man auf der ganzen Galeere gehört, bis man mir den Mund mit Tuchfetzen zugestopft hat.« Carles blickte ihn mit tränenfeuchten Augen an. »Danach haben sie mich ausgepeitscht, weil ich geschrien habe.«
    »Wer waren sie?« Joan war entsetzt. Es empörte ihn, dass man Carles gequält hatte, doch eine Vergewaltigung war das Schlimmste.
    »Die zwei hinter uns und Garau«, sagte der Junge wütend. »Das haben sie ein paarmal getan.«
    »Aber wie können sie es wagen? Sie sind erwachsen, und man würde sie zum Tod verurteilen.«
    »Und wer zeigt sie an?«, entgegnete Carles. »Unser Wort gilt nichts.«
    Joan schüttelte angewidert und bestürzt den Kopf.
    »Aber ich will dir etwas sagen«, erklärte Carles wütend. »Sie wollen, dass ich mich ihnen unterwerfe, dass ich ihre Hure werde. Doch eher friert die Hölle zu, als dass ich dem zustimme. Sie haben mir alles genommen, nur die Würde können sie mir nicht nehmen.«
    Diese Geschichte betrübte Joan tief. Er erinnerte sich an Abdalás Worte, dass die wahre Freiheit im Innern jedes Einzelnen, in seinem Geist, seinem Kopf sei. Solange sich Carles nicht unterwarf, würde er weiter frei sein.
    Welche Sünde beging er, wenn er einen Mann liebte, war dies doch seine natürliche Neigung? Joan war auf der Galeere, weil er getötet hatte, doch Carles hatte keinerlei Verbrechen begangen. Er verdiente die Strafe nicht, die er verbüßte.
    Zum ersten Mal, seitdem man ihn auf der Galeere angekettet hatte, holte Joan sein Buch heraus. Er nahm den Korken seines Tintenfasses ab, schüttete ein paar Wassertropfen hinein, und rührte die Flüssigkeit mit der Feder um. Er notierte: »Eine halbe Frau unter Männern und ein halber Mann unter Frauen.« Und dann: »Solange du deine Würde bewahrst, wirst du frei sein.«
    Mehr schrieb er nicht. Darüber musste er gründlich nachdenken.

65
    A m Morgen des sechsten Tages ihrer Fahrt erblickte die Flotte die Küsten Sardiniens. Sie hatten die Hälfte des Weges zurückgelegt. Doch das Admiralsschiff wandte sich nicht nach Norden. Es durchquerte nicht die Korsika von Sardinien trennende Meerenge von Bonifacio, um nach Neapel weiterzusegeln, sondern fuhr nach Süden. Es war ein klarer Tag, und die Küste trat deutlich aus dem blauen Meer hervor.
    In der ersten Nachmittagsstunde entdeckten sie das Kap Caccia mit seinen riesigen Höhlen wie der Neptuns- und der Dragonera-Grotte, wo die Piraten ihre Beute versteckten. Dahinter lag Porto Conte, der größte Naturhafen des Mittelmeeres. Dorthin flüchteten die Schiffe bei Stürmen. In der Nähe befanden sich mehrere kleine Inseln, hinter denen die Piraten gewöhnlich auf Beute lauerten.
    Trotz seiner schlimmen Lage war Joan tief gerührt, als er selbst diese Orte sah, die ihm durch die Geschichten der Seeleute in den Schänken vertraut waren. Wenn er konnte, richtete er sich von seiner Bank auf, um die Küstenlinie besser zu sehen.
    Dann tauchte die Bucht von Alghero auf. Sie war vor den Nord- und Westwinden geschützt und schloss im Süden mit einem Vorgebirge ab, auf dem die gleichnamige befestigte Stadt emporstieg. Die Seeleute schätzten ihren Hafen und sahen Alghero beinahe als katalanische Stadt an, denn nach einem Aufruhr der Sarden war es mit Bauern aus der Gegend von Tarragona und danach mit Einwanderern aus Barcelona, die vor dem Bürgerkrieg geflohen waren, wieder bevölkert worden. Es war die Hauptstadt der Insel, und wie es hieß, sollte es sehr schön sein.
    »Das ist Alghero!«, sagte er erregt zu Carles. Er stand auf, um besser zu sehen. Das brachte ihm einen Peitschenhieb von Garau ein, der nicht weh tat, weil er die Bank traf. »Das ist Alghero«, wiederholte er leiser, damit man ihn vom Mittelgang aus nicht hörte. »Es ist sehr schön.«
    Carles blickte ihn mit einem freundlichen, etwas spöttischen Lächeln an.
    »Und was haben wir davon? Wir bleiben hier angekettet. Es kommt auf das Gleiche heraus, ob wir vor einer schönen Stadt oder einer hässlichen liegen.«
    »Wie gern würde ich sie mir ansehen!«, beharrte Joan weiter.
    Carles schüttelte ungläubig den

Weitere Kostenlose Bücher