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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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trägt keine Ketten, und wenn er sich die Mütze abnimmt, siehst du, dass er Haare hat. Er fühlt sich uns überlegen, und er ist ein Vertrauter der Aufseher, die zu demselben Gesindel gehören wie er. Gern würde er selbst als Aufseher arbeiten, aber nicht einmal dafür wollen sie ihn haben. Er ist mit diesem Garau befreundet, und der ist der Schlimmste von ihnen allen. Es sind üble Kerle.«
    Joan erinnerte sich an Garaus Gesichtsausdruck. Dieser Mann hatte ihm ja gesagt, der Einäugige sei sein Freund gewesen. Auf einmal ahnte er, dass er ihn früher, vor langer Zeit, gesehen hatte. Beim Überfall auf sein Dorf! Nun erkannte er, dass Garau zu der Bande gehörte, die seinen Vater ermordet hatte. Inzwischen redete Carles weiter, ohne dass ihm Joan zuhören konnte.
    »Aber du darfst nicht glauben, dass die Freiwilligen wirklich frei sind. Wenn sie gehen wollen und es nicht genug Ruderknechte gibt, lässt der Kapitän sie anketten, genauso wie uns. Sie gehen erst von Bord, wenn man mehr Ruderer hat.«
    Joan schwieg nachdenklich. Er grübelte, wie er herausbekommen konnte, wohin seine Familie in Italien geraten war. Dieser Garau erinnerte sich bestimmt, was sie mit ihnen gemacht hatten. Aber niemals würde er mit einem Galeerensträfling wie ihm darüber reden. Die einzige Möglichkeit würde darin bestehen, dass er ihn als seinesgleichen ansehen und sich mit ihm anfreunden würde. Allerdings könnte so etwas nicht geschehen, solange Joan in Ketten lag. Vielleicht müsste er warten, bis er seine Strafe verbüßt hatte und eine Stelle als freiwilliger Ruderer oder, wenn er Glück hatte, als Seemann bekam. Doch er konnte nicht so lange warten. Er dachte darüber nach, wie er sich von den Ketten befreien konnte, um als Mitglied der Mannschaft anerkannt zu werden.

64
    I n der ersten Nacht war beinahe Vollmond. Die Scheibe stand glänzend am Firmament und schickte silberne Strahlen zu einem ruhigen Meer hinab. Es wehten günstige Winde, und der Kapitän entschied, mit aufgespanntem Segel zu fahren. Er beauftragte den Steuermann und die Ausguckposten mit der Aufsicht des Schiffes und ließ die Ruderer ausruhen. Vor Sonnenuntergang hatte man die Laterne im hinteren Teil des Kampanjedecks angezündet. Nur die Galeere des Admirals besaß dieses Licht, es diente den folgenden Schiffen als Orientierung.
    Nach dem Abendessen sagte Carles, bevor er sich auf die Planken legte, zu Joan: »Wir haben Glück, weil wir nahe am Bug sind.«
    »Warum?«
    »Weil es den Unglücklichen, die am Heck, beim Kampanjedeck, schlafen, in der Nacht schlecht ergeht. Das Schlafen fällt schwer, weil die Flöhe und Wanzen beißen und die Planken so hart sind. Sobald sie sich jedoch umdrehen, klirren die Ketten. Dieses Geräusch weckt die Offiziere, und sie lassen die Schuldigen auspeitschen. Stell dir vor, dass du das alles aushalten musst, ohne dass du dich überhaupt bewegen darfst.«
    Joan stellte es sich vor. Es war entsetzlich.
    Kurz vor dem Abendessen hatte man das Deck gewaschen. Es war frei von Exkrementen und Urin, doch es stank immer noch und war feucht. Es wehte eine kalte Brise. Joan holte alle Wäsche aus seinem Beutel, um sich einen Platz einzurichten und zu schlafen. Da hörte er Jerònim, den freiwilligen Ruderer, der zusammen mit seinem Kumpan Sanç abermals Carles bedrängte.
    »Du hast deinem Liebsten viele kleine Geheimnisse erzählt, nicht wahr?«, verhöhnten sie ihn, wobei sie ihn angrapschten.
    Der Junge schützte sich, indem er um sich schlug, und sein Kettenklirren schien die Angreifer zu belustigen. Joan schätzte, wie kräftig die Halunken waren. Beide waren größer als Carles, doch Joan übertraf sie. Ihre Muskeln waren gut, aber nicht übermäßig ausgebildet. Wenn er den Ersten mit einem Faustschlag richtig und überraschend erwischte, würde er ihn zu Boden werfen. Dann hätte er gute Chancen bei einem Zweikampf mit dem anderen. Dennoch hielt er sich zurück. Ganz sicher würde der Aufseher Garau zu Jerònim und seinem Spießgesellen halten. Außerdem hatten sie ihn schon als »Liebsten« des Jungen bezeichnet, und wenn er ihn verteidigte, würden sie auch ihn als Homosexuellen beschuldigen. Schließlich sagte er sich, dass es Wahnsinn wäre, sich an einem Kampf zu beteiligen, nachdem er gerade erst angekommen war.
    Joan biss die Zähne zusammen und wartete ab, ob sie es sattbekommen würden, den Jungen zu belästigen. Dieser wehrte sich, so gut er konnte, ohne ein Wort zu sagen. Die Tränen liefen ihm über die Wangen.

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