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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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mein Geheimnis nicht. Das Leben ist kurz, und man muss immer, wenn man kann, lachen und feiern.«
    »Er nimmt Anna mit!«, rief Joan schluchzend.
    »Aber sie geht aus eigenem Willen«, erinnerte ihn der Neapolitaner.
    Joan verlor den Mut und antwortete nicht. Er war aus der wunderschönsten Nacht seines Lebens erwacht und fand sich in einem schrecklichen Albtraum wieder. Er würde Anna für immer verlieren.
    »Geh zum Castel Capuano«, schlug Antonello vor, der Mitleid mit dem jungen Mann empfand. »Vielleicht hat der König verfügbare Truppen und will sie im Fall Luccas einsetzen.«
    »Dafür ist es zu spät«, sagte Joan.
    Weiter oben an der Straße hörte man schon rumpelnde Wagen und die Rufe der Fuhrleute, die die Tiere antrieben. Der junge Mann staunte, wie schnell sie mit dem Verladen fertig geworden waren. Lucca hatte offenbar alles sehr gut geplant.
    Kurz darauf fuhren sie an der Buchhandlung vorbei, und Joan, der sich in ihrem Innern befand, konnte Riccardo Lucca sehen. Hoch aufgerichtet und stolz wie immer saß er auf seinem Pferd, und neben ihm, gerade, ruhig und wunderschön, ritt Anna auf einer Stute.
    Ihm fiel nichts anderes ein, als ihnen nachzulaufen. Der Zug weckte das Interesse der Nachbarn, die aus den Fenstern hinausschauten, oder auch derjenigen, die schon ihre Haustüren geöffnet hatten. Aber niemand versuchte, ihnen den Weg zu versperren. Die Ersatztruppen der Belagerer des Castel Nuovo wurden überrascht, und nicht einmal sie taten etwas, um diese Soldatengruppe und die von ihnen bewachten Wagen aufzuhalten. In aller Eile gelangte der Zug in den Bereich, der vom Feuer der Kanonen und Musketen des Kastells beschützt wurde, und damit war er in Sicherheit. Ohne Zeit zu verlieren, wandte er sich zum Hafendamm, der im Schatten des Kastells lag und sich weiter in der Macht der Franzosen befand. Unverzüglich begann man, die Lasten der Wagen auf eine dort ankernde Karavelle umzuladen. Sie waren nicht die Einzigen. Anscheinend hatten andere adlige Anjou-Anhänger es zuvor auch schon getan. Joan berechnete, wie schnell sie das Gepäck umluden und wie lange die Flut anhalten würde. Der Wind war günstig für sie, und in weniger als einer Stunde würde die Karavelle auslaufen.
    Die Sonne beleuchtete schon die höchsten Kirchtürme Neapels, und Joan sah machtlos und verzweifelt zu, wie sich Anna für immer von ihm entfernte.

97
    W er war dieser Mann, der aus unserem Haus kam?«, fragte Riccardo Lucca.
    Anna erschrak. Den ganzen Morgen hatte sie die Frage erwartet und gewünscht, dass sie nie gestellt würde. Seitdem sich ihr Gatte und Joan am Morgen auf der Straße gegenübergestanden hatten, wurde sie von einem entsetzlichen Angst- und Schuldgefühl gequält, das sie um jeden Preis zu verbergen suchte.
    Lucca wartete, bis sie an Bord waren, und als alles verladen war und sie schon jenseits des Castel dell’Ovo segelten, stellte er seiner Gattin diese Frage. Selbst in den kritischsten Augenblicken dieses Morgens, als er noch mit der Flucht beschäftigt war, wurde er ständig von unheilvollen Gedanken heimgesucht. Anna und ein großer Teil seiner Habseligkeiten waren schon außer Gefahr, doch das Gefühl der Erleichterung, das er erhofft hatte, war zu einem schrecklichen Verdacht geworden.
    »Das weiß ich nicht«, antwortete sie und blickte ihn mit ihren grünen Augen an, die an diesem Tag graue Pünktchen zeigten. »Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen.«
    Riccardo Lucca beobachtete sie misstrauisch. Er liebte seine junge Gattin, mit der er seit etwas mehr als einem Jahr verheiratet war, abgöttisch – selbst wenn er ihre Gesellschaft nicht so oft genießen konnte, wie er es ersehnte. Allzu oft hielt ihn der Krieg auf einem entfernten Schlachtfeld fest.
    Er hatte sich auf der Stelle in sie verliebt, als er sie im Juwelierladen ihrer Eltern erblickte. Doch es kostete ihn Zeit und Geduld, bis sich Anna den Hof machen ließ. Er war sich bewusst: Dass er ihrem Vater geholfen und ihrem Bruder eine Anstellung als Schildknappe bei einem Verwandten in seinem heimatlichen Apulien verschafft hatte, wirkte sich entscheidend darauf aus, dass sie ihn zuerst als Galan und dann als Gatten akzeptierte. Doch er wusste, dass sein Aussehen den Frauen gewöhnlich gefiel, und war überzeugt, es werde ihm mit seinem Eifer, seiner Fürsorge und seiner Liebe gelingen, dass sie seine Gefühle erwiderte. Nachdem sie geheiratet hatten, gab sich ihm seine Gattin allmählich hin, und jeder Fortschritt machte ihn

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