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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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überglücklich. Er geleitete sie stolz auf der Straße und genoss es, wenn sie sich zärtlich bei ihm einhakte.
    Doch wenn er in den letzten Monaten von seinen unumgänglichen Reisen zurückkam, hatte er allmählich etwas Sonderbares an ihr bemerkt. An diesem Morgen, als er den unbekannten jungen Mann in seinem Haus entdeckte, steigerte sich das Gefühl zu einem Alarmsignal.
    »Nun, ich erinnere mich tatsächlich, dass ich ihn früher gesehen habe«, entgegnete er. »Er trieb sich in der Umgebung des Hauses und sonntags sogar in der Kathedrale herum. Eigenartig ist, dass Ihr ihn nicht bemerkt habt.«
    »Es gehört sich nicht für eine anständige Frau, den Männern auf der Straße nachzusehen, Riccardo.«
    Anna spürte, wie sich ihr das Herz zusammenkrampfte. Sie hasste es, ihren Ehemann zu belügen, doch sie durfte die Wahrheit nicht sagen. Sie erinnerte sich an die leidenschaftliche Nacht mit Joan. Wenn sie nur daran dachte, bekam sie eine Gänsehaut. Aber diese Liebe war nun ein ferner Traum, und die Wirklichkeit war voller Gewissensbisse und Angst. Sie hatte eingewilligt, Joan allein wiederzusehen, weil sie wusste, dass alles für die Flucht vorbereitet war und dass sie sich gewiss niemals wiedersehen würden. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Liebe und Leidenschaft sie überwältigen würden. Sie hatte auch nicht gewusst, dass dies der Morgen war, den ihr Ehemann ausgesucht hatte, um aus Neapel zu fliehen.
    Nie wollte sie Riccardo verraten, doch sie hatte es getan. Er war ein zärtlicher, stattlicher Gatte, der sie liebte und sich bemühte, ihr in allem gefällig zu sein. Stets hatte er sich um ihre Familie gekümmert. Sie war ihm sehr dankbar, sie respektierte ihn und liebte ihn. Auf andere Art und weniger innig als Joan, doch sie empfand Liebe für ihn. Entsetzt dachte sie an ihren Verrat in dieser Nacht. Wenn sie ihn widerrufen könnte, würde sie ihn aus ihrem Leben tilgen. Trotzdem könnte nun mit Riccardo nichts mehr wie früher sein. Die Lüge würde immer zwischen ihnen beiden stehen.
    Sie liebte Joan. Sie hatte ihn vom ersten Tag an geliebt, doch nun wünschte sie, dass es diese Nacht nie gegeben hätte, dass die Karavelle sie für immer forttrug und die Fragen und Verdächtigungen ihres Ehemanns aufhörten.
    »Und was, glaubt Ihr, hat dieser junge Mann in unserem Haus gemacht?«, ließ sich Riccardo nicht abweisen.
    »Das weiß ich nicht. Vielleicht hat er eine Magd besucht, oder er wollte stehlen.«
    »Er sah nicht aus wie jemand, der einer Magd nachstellt. Auch nicht wie ein Dieb. Er wirkte eher wie ein Edelmann.«
    »Ich kann es Euch nicht sagen, ich habe ihn kaum gesehen.«
    »Er sagte, er sei gekommen, um mich zu töten.«
    Beunruhigt riss Anna ihre Augen weit auf. Sie hatte erleichtert aufgeatmet, als Riccardo an diesem Morgen nach Hause zurückkam, ohne dass er mit Joan gekämpft hatte. Aber sie hatte nicht gewusst, dass er ihren Ehemann bedroht hatte.
    »Warum wollte er mich umbringen, was glaubt Ihr?«, drängte Riccardo. »Was habe ich ihm wohl getan?«
    Anna schluckte und zuckte die Achseln.
    »Das weiß ich nicht. Vielleicht ist er einer Eurer politischen Gegner. Oder ein gedungener Mörder.«
    »Nein, das war er nicht. Ich kenne meine Feinde. Sogar die Mörder, die sie beauftragen.«
    Seine dunklen Augen starrten sie unverwandt an. Sie hatten einen schmerzlichen Ausdruck. Er liebte sie innig, und der Verdacht zerriss ihm das Herz. »Ob er vielleicht Euretwegen gekommen ist, Anna?«
    Sie spürte, wie ihre Beine nachgaben, und stützte sich auf die Reling des Schiffes.
    »Riccardo! Wie könnt Ihr denken …?«
    »Spanische Galeeren!«, rief der Ausguckposten. »Spanische Galeeren verfolgen uns!«
    Riccardo Luccas Blick löste sich von seiner Frau und wandte sich dem Mastkorb des Schiffes zu, von wo der Ruf gekommen war.
    »Entschuldigt mich, Anna.« Riccardo verbeugte sich kurz und lief zum Kapitän.
    »Der Südsüdostwind ist günstig für uns«, sagte dieser gerade zu der Gruppe von Adligen, die sich um ihn versammelte. »Aber er hilft auch den Galeeren, und sie werden uns einholen, bevor wir nach Gaeta kommen.«
    »Fünf französische Galeeren kommen uns von Gaeta entgegen, um uns zu eskortieren«, erwiderte Riccardo. »Fahren wir weiter mit vollen Segeln. Die anderen können es nicht mit uns aufnehmen.«
    Lucca war einer der militärischen Führer der Anjou-Partei, und er hatte die Flucht gründlich vorbereitet.
    »Mich überrascht, dass die Spanier so schnell losgefahren sind«,

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