Am Horizont die Freiheit
sehr zerklüftet, und außer einigen langgestreckten Strandabschnitten sah das Übrige so aus, als bestehe es aus ins Meer stürzenden Bergen mit großen Felsklippen und einigen Buchten, an denen kleine Ortschaften auftauchten. Das erinnerte Joan an die Küste seiner Heimat.
Kurz vor der Abenddämmerung kamen sie nach Levanto, einem mit einer Mauer umgebenen und von einem hohen Kirchturm überragten Ort am Ende eines mit Pinien und Ölbäumen bestandenen Tals, das sich zu einem breiten Strand öffnete. Sie zogen das Boot an Land, und von Bernardo geführt, gingen sie in den Ort. Dort erkundigten sie sich nach christlichen Sklavinnen, die María, Eula, Marta, Elisa, Eulalia oder Elisenda genannt wurden. Man sagte ihnen, im Dorf lebten nur zwei sarazenische Sklaven, und man wisse nicht, ob es welche im nächsten Ort gebe. Sie übernachteten am Strand, und am Morgen setzten sie die Fahrt fort. Nach einer Weile erblickten sie ein steiles Vorgebirge, das ins Meer hineinragte.
»Hinter diesem Berg liegt Monterosso, der erste Ort der Cinque Terre«, sagte Bernardo.
Die Landschaft war noch schroffer geworden. Die Wellen schlugen an sehr hoch aufragende Klippen. Sobald sie um das Kap gefahren waren, öffneten sich vor ihnen zwei sandige Buchten. An der zweiten lag Monterosso, das sich auf einem befestigten Hügel erhob. Sie zogen das Boot an Land, weil sie sich umhören wollten.
»Hier haben wir keine Sklaven«, sagte ein alter Seemann, den Bernardo kannte. »Aber es gab tatsächlich eine weiße Frau.«
»Es gab?«, fragte Joan nach. »Was ist mit ihr geschehen?«
»Sie ist gestorben.«
»Wie hieß sie?«
»Daran erinnere ich mich nicht. Das ist Jahre her.«
»Wie viele?«
»Neun oder zehn.«
»Wie alt war sie?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete der Mann unwillig, weil ihn Joan so nachdrücklich bedrängte. »Warum fragt Ihr nicht Giuseppe? Er war der Herr.«
»Wo kann ich ihn finden?«
»Auf dem Boot, wenn er vom Fischen zurückkommt, oder in seinem Haus. Es steht neben der Sankt-Johannes-Baptist-Kirche.«
Bernardo kannte den Fischer, wie er sagte. Während sie auf ihn warteten, befragten sie die Nachbarinnen, und sie bestätigten, dass Giuseppe eine Sklavin hatte, die Eula hieß. Als sie herkam, sei sie wenig über dreißig Jahre alt gewesen, eine trübsinnige und kränkliche Frau, die sich niemals richtig auf Ligurisch verständigen konnte und die kaum zwei Jahre nach ihrer Ankunft gestorben sei. Joan verzweifelte. Alle Angaben stimmten mit seiner Mutter überein. Während des übrigen Tages lief er zwischen Festungshügel und Strand hin und her, ohne auch nur zu essen, und wartete auf den Mann.
»Ich habe sie gekauft, weil meine Frau und meine Tochter an der Pest gestorben sind. Ich war allein, und für mich gab es im Ort keine Frau«, erklärte Giuseppe.
Er hatte die Männer in seinem Haus zu einem Glas Wein eingeladen. Seine Haut war sonnenverbrannt, er war mager und hatte eingesunkene Wangen. »Was sie früher erlitten hatte, hatte sie sehr mitgenommen, und man hat sie mir günstig verkauft. Sie war eine schöne Frau, aber ich habe ein schlechtes Geschäft gemacht. Ich dachte, weil sie Fischerin war und Netze flicken konnte, würde sie mir eine Hilfe sein und mir Gesellschaft leisten. Und weil sie Christin war, könnten wir vielleicht zu etwas mehr kommen. Aber sie wurde nicht damit fertig, dass sie ihre Familie verloren hatte. Zwei Jungen und zwei Mädchen, eines noch ein Säugling. Und dazu ihren Mann. Und dazu kam, was ihr die Sklavenhändler angetan hatten. Bei mir weinte sie die ganze Zeit, und ich konnte sie nicht trösten.« Der Mann seufzte gerührt. »Sie schloss sich in sich selbst ein, redete fast gar nicht und wollte nicht einmal unsere Sprache lernen.«
Joan hörte ihm angstvoll zu. Es war seine Mutter!
»Ja, wir nannten sie Eula, vielleicht bedeutete das Eulalia. Sie war Katalanin, ich weiß nicht, aus welchem Ort. Sie hatte schönes braunes Haar und dunkle Augen. Ich habe sie Ende 1484 gekauft«, beantwortete der Mann Joans Fragen.
»Das war meine Mutter!«, rief er und konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken.
Beide hatten feuchte Augen, und der Mann erwiderte seinen Blick. Der Junge wusste nicht, ob er ihn hassen und sich an ihm für das rächen sollte, was seiner Mutter geschehen war, oder ob er ihm danken sollte, weil er sich um sie gekümmert hatte.
»Es tut mir leid«, sagte Giuseppe. »Ich bedauere, was mit deiner Mutter geschehen ist. Sie war in tiefster Seele
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