Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
Vom Netzwerk:
Sklaven.«
    Das war die Antwort, die Joan erwartet hatte, doch er wollte mehr wissen: »Und vor ein paar Jahren? War damals eine Sklavin hier? Ich suche ein junges Mädchen, das María heißt. Jetzt ist sie ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt. Aber als man sie versklavte, war sie vierzehn. Und ich suche noch ein Mädchen. Sie heißt Elisenda und ist dreiundzwanzig.«
    Die Männer mit ihren sonnengegerbten und runzligen Gesichtern sahen ihn ausdruckslos an. Nach einer Weile schüttelte der eine den Kopf. »Nein.«
    Da blickte der, der nicht gesprochen hatte, seinen Gefährten an und sagte zu ihm: »Hör mal – und die Frau, die mit der Witwe Elisabetta zusammenlebt?«
    »Was?«
    »Sie ist eine Ausländerin.«
    »Ja, aber sie ist keine Sklavin und wird bestimmt bald fünfundvierzig.«
    »Aber sie war es, als sie herkam.«
    »Wie heißt sie?«, wollte Joan wissen.
    »Ich erinnere mich nicht. Ein sonderbarer Name«, murmelte achselzuckend der, der zuerst gesprochen hatte.
    »Eulalia«, sagte ein Mädchen, das etwas entfernt Netze nähte und dem Gespräch zuhörte.
    »Eulalia!?«, rief Joan überrascht. Er spürte, dass sein Herz hoffnungsvoll klopfte. Vielleicht war seine Mutter doch noch am Leben.
    Das Mädchen bejahte mit einem Kopfnicken.
    »Ich suche eine Eulalia!«, bestätigte Joan aufgeregt. »Wo wohnt sie?«
    Das Mädchen zeigte ihm, wie er zu dem Haus kommen konnte. Er beherrschte seine Gefühle und lief dorthin. Ihm folgten Niccolò, Bernardo, sein Sohn, die Alten, das Mädchen und die Leute, die aus ihren Häusern traten, weil der Lärm sie aufgescheucht hatte. Bevor sie ankamen, erschien eine Frau, die ein paar vorauseilende Kinder benachrichtigt hatten, an der Tür und trocknete sich die Hände an der Schürze ab. Sie sah sie mit großen Augen an, und Joan dachte, dass sie gewiss dasselbe Alter wie seine Mutter hatte. Aber sie war es nicht.
    »Was wollt Ihr?«, fragte sie ihn.
    »Ich möchte Eulalia sehen.«
    »Warum?«
    »Ich bin ihr Sohn.« Er war überhaupt nicht sicher, doch er beschloss, so zu tun.
    Die Frau starrte ihn mit offenem Mund an. Dann hob sie die Hände zum Himmel, ließ sie wieder sinken und schlug sie zusammen.
    »Der Sohn Eulalias!«, rief sie. »Danke, lieber Gott!«
    Als hätte sie ein Zeichen gegeben, entstand ein allgemeines Gemurmel in der Gruppe der Neugierigen, und alle plapperten nun auf einmal los. Die Frau umarmte Joan, den so viel Überschwang erstaunte.
    »Wo ist sie?«, fragte er.
    »Oben auf dem Berg. Sie ist bei der Weinlese. Holt sie her, verliert keine Zeit! Die Kinder zeigen Euch den Weg.«
    Mit einem Lächeln begann sie zu weinen.
    Nicht nur die Kinder begleiteten sie, sondern auch Elisabetta folgte ihnen, zusammen mit den Nachbarn, die in immer größerer Zahl aus den Häusern strömten, je weiter sich die Nachricht verbreitete. Alle begannen den Aufstieg an diesen unglaublich steilen Berghängen. Sie waren mit Steintreppen überzogen, die die Weinbergterrassen untereinander verbanden. Auf dem größten Teil des Weges musste man sich in einer Reihe bewegen, weil der Pfad so schmal war. Aber keiner gab auf, und Joan hatte Angst, dass jemand abstürzte.
    Sein Herz krampfte sich ängstlich zusammen, und er atmete mühsam, was mehr an seiner Aufregung als am steilen Aufstieg lag. Das war sie, sagte er sich. Das musste sie sein.
    Sie kletterten inmitten von Weinstöcken empor, deren grüne Blätter allmählich die braunen und gelben Farbtöne des Herbstes annahmen und deren goldene Trauben schon geerntet waren. Ganz hinten sah man das äußerst schmale, vom Bach durchflossene Tal und die Häuser, die sich zum Kastell hinauf zusammendrängten. Dieses erhob sich auf einem Felsvorsprung, der ins tiefblaue Meer hineinragte.
     
     
    Kurz bevor Eulalia ihren Namen hörte, unterbrach sie die Arbeit bei den Weinstöcken und blickte wieder einmal auf dieses unermessliche Meer hinaus, das sie von ihren lieben Angehörigen trennte. Sie ahnte, dass ihr Mann tot war. In den ersten Jahren der Sklaverei hatte sie davon geträumt, dass Ramón – stark, tapfer und liebenswert, wie sie sich an ihn erinnerte – kam und sie befreite. Sie wusste, wie sehr er sie liebte und dass ihn nur der Tod daran hindern würde, sie zu finden. Sie schloss die Augen und sah ihn vor sich, wie er lächelte, mit seinen großen honigfarbenen Augen und dem braunen Bart und Haupthaar. Aber die Tage und die Jahre vergingen, und das blaue Meer brachte kein Segel herbei, das ihre Hoffnungen erfüllt hätte. Sie

Weitere Kostenlose Bücher