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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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ihren heiligen Ursprung, ihre Zauberkraft, ihre Macht. Die Bücher haben Leib und Seele wie wir. Mach deiner Liebsten ein Buch mit einem schönen Leib, der den ihren liebkost und der sich liebkosen lässt. Gib ihm eine Seele, die zu ihrer Seele vordringt und mit ihr verschmilzt, die sie beruhigt und ihr Frieden gibt. Ein Buch, das sie von ihren Ängsten, Kümmernissen und Schuldgefühlen entlastet, damit sie sich wieder wie das Mädchen fühlt, das du kennengelernt hast.
    Zusammen mit meinem Brief findest du einen kleinen Lederbeutel. Mach ihn nicht auf. Heb ihn auf, er wird dir helfen. Ihn schickt deine Freundin aus El Raval. Die Frau, die sie »die Hexe« nennen.

120
    A nfang Januar 1496 , wenige Tage vor seinem vierundzwanzigsten Geburtstag, traf Joan in Neapel ein.
    »Deine Dame ist kurz vor dem Ende ihrer zweiten Trauerzeit«, unterrichtete ihn Antonello. »Aber ich habe schlechte Neuigkeiten. Bartomeus Brief hat es mir ermöglicht, gute Beziehungen zu ihrem Vater, Mosén Roig, aufzunehmen. Er sagt, sie werde weiter Trauer tragen, sie habe nicht die Absicht, auf deine Briefe zu antworten, und sie wolle dich unter keinen Umständen sehen.«
    Joan schüttelte missmutig den Kopf.
    »Erzählt mir alles, was Ihr von ihr wisst.«
    Der Buchhändler erklärte, die Lage habe sich nicht verändert. Bei ihren Besuchen in der Buchhandlung bestehe Anna nachdrücklich darauf, keinen Kontakt zu ihm zu wünschen. Auch der Vater habe keinen größeren Erfolg. Der Juwelier, der einige Jahre zuvor Joan durch Bartomeus Vermittlung verboten hatte, seine Tochter zu sehen, würde mittlerweile den jungen Mann als Ehemann für sie akzeptieren. Nur dass es jetzt die Tochter ablehnte.
    Diesmal erklärte er sich mit dem Zimmer einverstanden, das ihm Antonello im ersten Stock seines Hauses anbot. Er brauchte eine vertraute und ruhige Atmosphäre, damit er den Anweisungen seines Meisters folgen konnte.
    Seine ersten Notizen hielt er auf Papierfetzen fest, die man in der Buchhandlung weggeworfen hatte. In seinem fieberhaften Schaffensdrang verzichtete er auf Schlaf und Essen. Er schrieb, betete, schlief zuweilen am Tisch ein und schrieb abermals. Er schuf die Seele seines Buches. Tage und Nächte verschmolzen, und nur das durchs Fenster hereinfallende Licht und die Kirchenglocken unterteilten seine Zeit.
    Nachdem eine Woche seit dem Beginn seiner Klausur vergangen war, ordnete Joan seine Papiere. Er machte sich frisch und aß gemeinsam mit Antonello und seiner Familie. Danach unterhielt er sich mit dem Neapolitaner, der Joans Opfergang halb skeptisch, halb erwartungsvoll beobachtete.
    »Glaubst du wirklich, dass du Anna nur mit einem Buch wiedergewinnen kannst?«
    »Ja.«
    »Ganz einfach so?«
    »Nein, so einfach ist es nicht«, widersprach Joan. »Das Buch wird, wenn ich es schaffen kann, ein lebendiges Wesen mit Leib und Seele sein.«
     
     
    In den nächsten Tagen betete Joan häufig in der Kathedrale. Außerdem wählte er das Material für sein Buch aus. Es sollte eine gute, aber nicht übertriebene Qualität haben.
    Dann begann er, seinen Text zu korrigieren. Gern hätte er alles gereimt, doch dazu fühlte er sich nicht in der Lage. Nach einer weiteren Woche war er mit dem Ergebnis zufrieden.
    Er ging in die Werkstatt hinunter, und dort stellte er die Buchdeckel her. Sie waren aus gutem Leder, und darauf prägte er mit kurzen, harten Schlägen den Titel:
Das Buch der Liebe
 – und weiter unten in kleinerer Schrift:
Von Roland für Angelica
, so dass man den zweiten Text als Teil des Titels, doch auch als Widmung lesen konnte. Dann schnitt er das Papier auf die geeignete Größe zu und linierte es behutsam, damit man die Hilfslinien der Buchstaben ausradieren konnte, ohne Spuren zu hinterlassen.
    Antonello hatte zwei Schreibtische wie die der Corrós, und Joan arbeitete in der nächsten Woche an einem von ihnen. Langsam schrieb er seinen korrigierten Text ab, legte in jede Zeile seine ganze Liebe. Oft machte er eine Pause, und manchmal warf er eine Seite fort und schrieb sie noch einmal, weil die Schriftzüge nicht die erforderliche Schönheit erreichten oder weil er einen besseren Ausdruck gefunden hatte.
    Diese Buchstaben wirkten äußerst lebendig, und unabhängig von ihrer Bedeutung sprachen sie auch durch ihre Erscheinung, wie die über dem Meer schwebenden Wolken, die ihm sein Vater am glänzenden Himmel Llafrancs gezeigt hatte.
    Vorsichtig nähte er die Blätter zusammen und band sie ein, wobei er sie in den Deckeln und am

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