Am Horizont die Freiheit
selbst und dachte, dass seine hohen Ziele die Mittel rechtfertigten, da er Sendbote des Herrgotts sei. Seine Beichtväter würden ihm schon in Gottes Namen verzeihen.
Joan verzeichnete in seinem Buch einen Satz, den er, wie er sich erinnerte, schon früher einmal geschrieben hatte: »Die Macht ist die Fähigkeit, den Übrigen zu schaden.« Und dann: »Rechtfertigt ein erhabener Zweck den Gebrauch erbärmlicher Mittel? Gott kann nicht auf der Seite jener sein, die die Unschuldigen leiden lassen.«
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A nfangs hatten die Frauen Schwierigkeiten, sich an Rom zu gewöhnen. Die Großstadt, der Lärm und das Geschrei der Leute auf den Straßen und dem Markt schüchterten sie ein. Besonders María fiel es schwer, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass sie frei war. Mitten in der Nacht weckten sie oft Albträume, in denen sie immer noch einen Herrn hatte, der sie missbrauchte. Doch Eulalia war da, um sie zu trösten.
Sie hatten Mühe, sich in ihrem ligurischen Italienisch zu verständigen, und zogen sich ins Haus zurück, wo sie sich um die häuslichen Angelegenheiten kümmerten. Joan machte sich Sorgen um die Frauen, und nachdem er sie zweimal zum Markt begleitet hatte, fand er die Lösung. Im Gasthaus »Zum Stier« gab es eine sympathische und aufgeweckte römische Magd. Er bat Vannozza darum, sie ihm ein paar Monate abzutreten, damit sie bei der Eingewöhnung seiner Familie mithalf. Das brachte Erfolg. Das Mädchen zwang Eulalia und María, sich beim Reden ständig des römischen Italienisch zu bedienen. Wenig später konnten sie sich schon auf dem Markt und mit den Nachbarinnen in einer immer römischeren und weniger ligurischen Sprache verständigen.
Niccolò bestand darauf, dass Joan die zehn Dukaten von den beinahe dreißig zurückbekam, die er Simone abgenommen hatte, und dass María und ihre Mutter den Rest behielten.
»Ich will dieses Geld nicht«, sagte Joan.
»Ich auch nicht«, erklärte der Florentiner. »Ich bekomme schon für meine Arbeit, was Ihr mir bezahlt. Zehn Dukaten gehören Euch, und das Übrige wurde aus den Leiden solcher Menschen wie Eurer Mutter und Schwester herausgepresst. Es ist gerecht, dass sie es bekommen.«
María und Eulalia nahmen das ganze Geld. Nie hatten sie so viel auf einem Haufen gesehen. Sie meinten zwar, die Kleidungsstücke, die sie in Genua erworben hatten, seien mehr als ausreichend, doch Joan wollte ihnen bessere Sachen kaufen. Er erinnerte sich an den Rat, den ihm Miquel Corella gegeben hatte, als er zum ersten Mal nach Rom gekommen war.
Nach dem Erfolg, den Joan mit Vannozzas Magd hatte, stellte er einen Lehrer an, damit die Frauen und auch die Kinder ihre Sprache verbesserten, lesen, schreiben und rechnen lernten. Dies und der Besitz eigenen Geldes machte die ehemaligen Sklavinnen selbstbewusster. In ihrem neuen Leben liefen sie nun schon mit hocherhobenem Kopf und einem Lächeln umher, das immer häufiger über ihre Lippen huschte.
Zufrieden verfolgte Joan die Fortschritte, die seine Familie in ihrem neuen Leben machte. Er sah, dass sich der Zeitpunkt näherte, zu dem er die Buchhandlung eröffnen könnte. Aber er war nicht glücklich. Anna fehlte ihm. Anfang Oktober war die strenge Trauer zu Ende, die sich die Witwe auferlegt hatte. Joan schrieb ihr unzählige Briefe, er berichtete ihr von seiner Genuareise und den Fortschritten, die die Buchhandlung machte. Er erzählte ihr auch von seinen Streifzügen durch Rom und beschrieb die Leute, die er kennenlernte. Seit Oktober – dem Ende der Trauerzeit – wartete er auf ihre Antwort, doch es kam keine. Joan verzweifelte, als er sich an Annas Abschiedsworte erinnerte: »Ich will Euch nicht mehr sehen.«
Am Anfang schrieb er ihr beinahe täglich, dann zweimal in der Woche und schließlich einmal. Ihn überwältigten Mutlosigkeit und Verzweiflung.
Die, die seinen Kummer sahen, wollten ihm Ratschläge geben. Seine Mutter und seine Schwester sagten ihm, er solle sich eine schöne Römerin suchen, und Miquel Corella schlug ihm mehrere Frauen vor, die außerdem wegen ihres Einflusses oder Geldes vorteilhafte Verbindungen sein würden. Niccolò hatte eine Liste von emigrierten Florentiner Damen, die begeistert sein würden, ihr Schicksal mit dem eines stattlichen jungen Mannes zu vereinen, auf den eine vielversprechende Zukunft wartete und der sich selbst zum Vorkämpfer der Bücher proklamiert hatte.
Man sagte ihm, er solle diese aus Katalonien stammende Neapolitanerin vergessen, die sich für adlig
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