Am Mittwoch wird der Rabbi nass
Ermittlungen anstellen müssen. Ich dachte, Sie wären vielleicht zur Zusammenarbeit mit uns bereit. Ich dachte, wir könnten uns ganz zwanglos unterhalten.»
Arnold spürte die Falle, und seine Gedanken rasten auf der Suche nach einer Möglichkeit, ihr zu entgehen. Wenn er in Philadelphia wäre, würde er Reb Mendel anrufen. Der würde wissen, was zu tun war. Vielleicht konnte er ein Ferngespräch … Dann kam ihm plötzlich eine Idee. «Na schön», sagte er. «Ich möchte doch jemanden anrufen.»
Lanigan schob ihm das Telefon hinüber. «Nur zu.»
«Ich brauche das Telefonbuch.»
Lanigan langte in die unterste Schublade und reichte ihm das Telefonverzeichnis. «Wen wollen Sie anrufen?»
«Rabbi Small.»
49
Der Rabbi lehnte an der Küchentür und sah zu, wie Miriam herumwirtschaftete. «Hättest du Lust, ein bisschen aufs Land rauszufahren und das Herbstlaub anzusehen?»
«Mit den Kindern? Hepsibah wird schlecht im Wagen.»
«Nein, nicht mit den Kindern. Nur wir beide. Kann Sandy heute Nachmittag nicht die Kinder hüten?»
«Sie kommt heute Abend, David. Weißt du nicht mehr? Wir sind bei den Bernsteins eingeladen.»
«Ach ja. Nun, vielleicht kann sie den ganzen Tag kommen. Ruf sie doch an.»
Sandy konnte. Also machten der Rabbi und Miriam sich mit einer Plastiktüte voll Sandwiches, Obst und einer Thermosflasche Kaffee auf den Weg.
«Das Herbstlaub ist hier in der Gegend wahrscheinlich genauso schön wie weiter nördlich», meinte Miriam.
«Gewiss, aber ich fahre lieber da oben hin. Wir nehmen Nebenstraßen und halten an, wenn wir Lust haben. Wenn wir Hunger haben, essen wir, und dann …»
«Hast du ein besonderes Ziel im Sinn, David?»
«Nein, einfach nur raus.»
«Einen besonderen Grund für dieses Davonlaufen?»
«Ich laufe nicht davon. Ich will einfach nicht zu Hause bleiben. Ich habe keine Lust, rumzusitzen und an den Nägeln zu kauen, während ich darauf warte, dass jemand mich anruft oder eine Delegation des Vorstands kommt, um mir mitzuteilen, dass sie über den Beschluss, den Goralsky-Block zu verkaufen, nicht noch einmal abstimmen werden.»
«Du glaubst wirklich, dass sie gegen dich stimmen werden?»
«Ich halte es für ziemlich sicher.»
«Und was hast du vor?», erkundigte sie sich besorgt.
Er grinste. «Das, was ich jetzt gerade tue. Nicht darüber nachzudenken. Und wir werden auch nicht darüber diskutieren. Sieh dir mal den Ahorn an!»
Es war ein schöner, sonniger Tag mit blauem Himmel und malerischen weißen Wolken. Und da sie sich an Nebenstraßen hielten, herrschte auch fast kein Verkehr. Einmal machten sie halt und sahen zu, wie mit viel Mühe ein großes Boot zur Überwinterung aus dem Wasser an Land geholt wurde. Ein anderes Mal hielten sie in einem kleinen Ort an, um einem Footballspiel zuzusehen, und aßen dabei, im Wagen sitzend, ihre Sandwiches. Zumeist jedoch fuhren sie und wiesen einander auf die interessanten Dinge hin, die zu sehen waren: ein zwischen Bergen gebetteter See, ein majestätischer Baumriese in leuchtendem Rot und Gold, eine grasende Kuhherde auf einem Weidehang. Wenn sie eine Abzweigung sahen, die viel versprechend wirkte, bogen sie ab, und wenn es ihnen zu langweilig wurde, nahmen sie eine andere Straße.
«Hast du eine Ahnung, wo wir sind, David?», erkundigte sich Miriam einmal.
«Nein, aber wir fahren nach Norden – mehr oder weniger.»
«Woher weißt du das?»
«Das sehe ich am Stand der Sonne», erwiderte er herablassend. «Wenn man gewohnt ist, sich beim Beten nach Osten zu wenden, entwickelt man ein Gespür für Himmelsrichtungen.»
«Und bei Nacht?»
«Richtet man sich nach dem Polarstern.»
«Und wenn der Himmel bedeckt ist?»
«Ach, da gibt’s immer Möglichkeiten», antwortete er obenhin. «Du hast sicher schon mal von dem chassidischen rebbe von Chelm gehört, dem Dorf der Dummköpfe. Für den war es leicht, denn er konnte Wunder vollbringen. Wohin er sich beim Gebet auch immer wandte, es war automatisch der Osten.»
Sie hielten zum Tanken und stellten fest, wo sie waren. «Wenn wir vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein wollen, müssen wir umkehren», meinte er.
«Weißt du, welche Straße wir nehmen müssen?»
«Nein, aber wir fahren immer nach Süden. Dann müssten wir gegen sechs zu Hause sein.»
Zu Miriams größtem Erstaunen war es tatsächlich genau sechs Uhr, als sie den Turm der Stadthalle von Barnard’s Crossing sichteten. Die Kinder lagen völlig vertieft auf dem Bauch vor dem Fernsehschirm und begrüßten
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