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Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Titel: Am Mittwoch wird der Rabbi nass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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Vorstand berichtet?», fragte der Rabbi.
    «Aber nein! Hätte ich das getan, wär’s am nächsten Tag in der ganzen Stadt rum gewesen. Ihnen sage ich es nur, weil … na ja, weil ich weiß, dass Sie keinen Gebrauch davon machen, und weil Sie sich so aufgeregt haben über das Unrecht, das wir Aptaker angeblich zufügen wollen, dass Sie sogar angedeutet haben, Sie würden zurücktreten. Ich fand, Sie müssten über alle Tatsachen informiert sein, bevor Sie einen schwer wiegenden Entschluss fassen. Hinsichtlich Ihres Rücktritts, meine ich.»
    Der Rabbi sah ihn überrascht an. «Fürchten Sie etwa, dass ich …»
    «Ich möchte nicht, dass Sie zurücktreten.»
    «Seltsam», sagte der Rabbi sinnend. «Ich hätte nie gedacht, dass Sie …»
    «Dass ich auf Ihrer Seite bin?» Muntz lachte. «Es ist aber so, Rabbi. Sehen Sie, Chet Kaplan ist zwar ein guter Freund von mir, in bestimmten Dingen ist er aber ein verdammter Narr. Er ist so verbohrt, was die Klausur und die Religion betrifft, dass er nicht mehr vernünftig denken kann. Tja, und ich finde, die Gemeinde braucht Sie als Gegengewicht.»
    «Ich verstehe.» Der Rabbi lächelte. «Sie wollen, dass ich hier Rabbi bleibe, weil Sie fürchten, mein Nachfolger könnte ein religiöser Rabbi sein.»
    Der Arzt lachte laut auf. «Es klingt zwar komisch, so wie Sie es ausdrücken, aber ich glaube, Sie haben mich verstanden.»
    «Das habe ich. Nur möchte ich wissen, ob Sie sich auch selbst richtig verstehen.»
    «Wie bitte?», fragte Muntz.
    «Nun, die meisten Juden verwenden, wie die Menschen heutzutage allgemein, wenig Gedanken auf die Religion. Dennoch haben sie ein instinktives Gefühl dafür. Und manchmal, wenn sie mit großer Begeisterung darangehen, geschieht das mehr oder weniger blindlings, und so laufen sie Gefahr, den falschen Weg einzuschlagen, wie Mr. Kaplan. Daher haben Sie wahrscheinlich das Gefühl, dass sein Judentum nicht ganz mit dem übereinstimmt, was Sie instinktiv empfinden. Denn sehen Sie, Doktor, unsere Religion ist eine moralische Religion, ein Lebensstil.»
    «Sind das nicht alle Religionen?»
    Der Rabbi schürzte die Lippen. «O nein. Das Christentum zum Beispiel ist eine mystische Religion.»
    «Sie meinen, die Christen sind nicht moralisch?»
    Der Rabbi machte eine ungeduldige Geste. «Selbstverständlich sind sie das. Aber bei ihnen kommt das erst in zweiter Linie. Was ihnen vor allem eingeschärft wird, ist der Glaube an den Menschengott Jesus. Und ihre Moral entspringt dem Grundsatz, dass sie, wenn sie an Jesus als den Sohn Gottes und den Heiland glauben, versuchen werden, ihm nachzueifern und daher moralisch handeln werden. Außerdem herrscht, vor allem bei den evangelischen Sekten, der Glaube, wenn man wahrhaft glaubt, ‹wenn man Jesus in seinem Herzen aufnimmt› heißt es wohl üblicherweise, komme das moralische Verhalten von selbst. Und manchmal stimmt das sogar.» Er legte den Kopf schief und überlegte. Dann nickte er energisch. «Natürlich. Wenn man die Gedanken auf den Himmel richtet, ist man weniger versucht, die Dinge dieser Welt zu begehren. Gewiss, hin und wieder mag man ausrutschen, aber nicht so oft, wie wenn man an gar nichts anderes denkt. Andererseits neigt man vielleicht zu der Auffassung, dass jede Laune, die einem in den Kopf kommt, das Wort Gottes sein muss.
    Bei uns dagegen hat der Glaube im christlichen Sinne so gut wie gar keine Bedeutung, da Gott für uns unerkennbar ist. Was kann es bedeuten, wenn ich sage, ich glaube an etwas, das ich nicht kenne und auch nicht erkennen kann? Theoretisch haben die Christen dieselbe Auffassung von Gott, und darum wurde Sein Sohn auf Erden geboren und lebte als Mensch. Denn da er ein Mensch war, konnte Er erkannt werden. Wir aber teilen diesen Glauben nicht. Unsere Religion ist ein Moralkodex. Der Kodex Mosis, die Thora, ist eine Reihe von Verhaltensregeln und -gesetzen. Und die Rabbis, aus deren Diskussionen und Debatten der Talmud besteht, befassten sich mit der Aufgabe, bis ins kleinste Detail festzuhalten, wie diese allgemeinen Verhaltensregeln erfüllt werden sollen. Ich möchte nebenbei erwähnen, dass dies der Grund ist, warum in all den Jahren so wenige Menschen zum Judentum übergetreten sind. Weil wir nichts zu verkaufen haben: keine Geheimnisse, keine Zauberformel, keine zeremonielle Einweihungsfeier, die das Tor des Himmels öffnet. Wenn ein Christ zu mir kommt, der übertreten will, wie es hin und wieder geschieht, erkläre ich ihm genau das, denn wir haben tatsächlich

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