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Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Titel: Am Mittwoch wird der Rabbi nass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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jeder anderen Sitzung auch passiert. Wenn jemand mit einer neuen Idee ankommt, wird darüber gesprochen, und dann kommt sie auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung und wahrscheinlich der nächsten und der übernächsten, bis sie die Idee totdiskutiert haben und es schließlich zur Abstimmung kommt. Und was die Eltern angeht, so werde ich natürlich mit ihnen sprechen, weil ihre Kinder ihnen viel bedeuten und, außerdem, weil sie mir selber viel bedeuten – viel mehr als die Vorstandssitzung.»
    «Tja, wenn Sie es unbedingt so wollen …»
    «Allerdings will ich es so», antwortete der Rabbi abschließend.
    «Okay, aber ich habe Sie gewarnt.»

9
    Im Gegensatz zu den drei Kollegen der Gemeinschaftspraxis war Dr. Daniel Cohen, das jüngste Mitglied der Medical Clinic von Barnard’s Crossing, praktischer Arzt. Und wenn auch die anderen, wie es in einer Kleinstadtpraxis unumgänglich ist, zum großen Teil Fälle allgemeiner Art übernahmen, war Alfred Muntz Herzspezialist, Ed Kantrovitz Internist und John DiFrancesca Facharzt für allergische Erkrankungen.
    Mit seinem kurz geschorenen Haar, dem Querbinder und der Sportjacke wirkte Dr. Daniel Cohen wie ein Collegestudent der vorigen Generation. Aber er war keineswegs ein junger Mann, der gerade seine Assistentenzeit hinter sich hatte; er war zweiunddreißig Jahre alt und praktizierte schon seit geraumer Zeit. Zuvor hatte er eine Praxis in Delmont gehabt, die er nach zwei Jahren jedoch aufgab, um eine neue in Morrisborough zu eröffnen, wo er ebenso erfolglos blieb. Trotzdem war er ein guter Arzt, der eine ausgezeichnete Ausbildung genossen hatte und ein guter Diagnostiker war. Außerdem war er ein aufrichtiger, freundlicher Mensch.
    Vielleicht sogar ein wenig zu freundlich, wie ein ehemaliger Studienkamerad meinte. Er aß mit einem Kollegen zu Mittag, als Dans Name fiel. «Nehmen wir doch mal den Durchschnittspatienten. Der ist nicht auf der Suche nach Freundschaft. Er hat Schmerzen und macht sich Sorgen. Er braucht die Gewissheit, dass sein Arzt genau weiß, was mit ihm los ist, und dass er ihn heilen wird. Ich will nicht sagen, dass ein Arzt kalt und reserviert sein soll. Obwohl, sehen Sie sich Jack Sturgis an – und Sie wissen, wie groß seine Praxis ist –, dieser Mistkerl ist so absolut eklig, dass es schon wieder Vertrauen einflößt. Die Leute glauben, wenn man es sich leisten kann, so eklig zu sein, muss man ungeheuer viel können. Was ich damit sagen will: Der Patient muss zu seinem Arzt aufblicken. Während Dan Cohen so was wie ein guter Onkel ist, der einem rät, sich bei Arthritis mit Hühnerfett einzureiben. Verstehen Sie, was ich meine?»
    «Ja, aber was ist mit Godfrey Burke?», entgegnete der andere. «Der ist ‘n verdammt freundlicher Kerl, lacht und albert mit den Patienten rum, und sehen Sie sich dessen Praxis an!»
    «Himmel, Godfrey Burke ist ungefähr einsneunzig und muss mindestens zweieinhalb Zentner wiegen. Wenn ein Hüne von einem Mann wie der nicht freundlich wäre, würde er sich alle Patienten vergraulen. Aber er ist freundlich, als täte man ihm Leid, als wäre man ein junger Hund oder so, den es wieder gesund zu machen gelte. Ich meine, Dan ist so was wie der altmodische Hausarzt, der die ganze Nacht bei einem Patienten mit Lungenentzündung wacht und auf die Krise wartet. Tja, dieser Typ ist heutzutage ausgestorben. Die Menschen sind argwöhnisch. Wenn man zu besorgt um sie ist, meinen sie, da müsste irgendein Haken sein, man wüsste nicht, was mit dem Patienten los ist, und man wolle das bloß nicht zugeben. Oder man habe vielleicht eine falsche Diagnose gestellt und die falsche Medizin verschrieben.»
    Dr. Cohen grübelte selbst am meisten über das Problem nach. Es gab einige Gründe, die er anführen konnte. In Delmont waren die Mediziner eine geschlossene Gruppe gewesen, die ihm keinen Zugang zu den Krankenhauseinrichtungen gewährten, entweder weil er ein Fremder war oder einfach, um keine neue Konkurrenz heranzuzüchten. Aber warum hatte es in Morrisborough dann auch nicht besser geklappt? Er sagte sich, der Grund dafür sei, dass er der einzige Jude am Ort war. Andererseits waren die zum größten Teil aus Yankees bestehenden Einwohner immer freundlich gewesen, wenn er sie auf der Straße traf. Warum waren sie aber nicht in seine Praxis gekommen?
    Aber das gehörte der Vergangenheit an. Hier, in Barnard’s Crossing, wo er sich vor knapp einem Jahr niedergelassen hatte, ging es ihm gut. Es war ein ideales Arrangement. Die

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