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Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Titel: Am Mittwoch wird der Rabbi nass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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abonnieren wollen, um den Kontakt mit ihrer Heimat nicht zu verlieren. Macht seine Sache ziemlich gut.»
    Akiva hatte eine Eingebung. «He, das ist ‘ne gute Idee!» Er suchte wieder im Handschuhfach und holte Bleistift und Papier heraus. Auf einen Zettel kritzelte er seinen Namen und seine Adresse und reichte ihn dann dem Polizisten. Aus der Brieftasche holte er einen Fünfdollarschein. «Hier ist ein Fünfer. Gib ihn deinem Bruder und sag ihm, er soll mir die Zeitung schicken.»
    «Tja, Mann, schreib ihm doch selber, dann schickt er dir ein Formular. Ich weiß nicht genau, wie viel das kostet.»
    «Na und? Wenn er mir Zeitungen für fünf Dollar geschickt hat, wird er mir schon wegen der Verlängerung des Abonnements schreiben. Du weißt doch, wie das immer ist. Wenn ich mich erst lange hinsetzen und einen Brief schreiben muss, komme ich nie dazu.»
    «Okay, na schön.» Der Polizist faltete den Zettel um die Banknote und schob alles hinter das Schweißband seiner Mütze. «Aber wenn du mal wieder hierher kommst, besuch mich doch. Und sei vorsichtig auf der nächsten Strecke. Da liegen überall runtergefallene Äste auf der Fahrbahn.»

15
    Rabbi Small hörte am nächsten Morgen beim minjen von Kestlers Tod. Obwohl es ein Schock für ihn war, dass der Mann, den er am Abend zuvor noch besucht hatte, gestorben war, kam es für ihn doch nicht allzu überraschend. Kestler war über achtzig Jahre alt gewesen, und jedes Mal, wenn er bei ihm war, hatte er ihn schwächer und hinfälliger gefunden.
    «Gehen Sie auch zu der Beerdigung, Rabbi?», erkundigte sich Chester Kaplan. «Die ist drüben in Revere, um halb elf. Er war Mitglied vom Bnai Shalom.»
    «Ich glaube nicht.»
    «Na ja, ich werde wohl gehen müssen. Ich habe die ganzen Jahre als Anwalt für die Kestlers gearbeitet.»
    «Die Teilnahme ist eine mizwe », stellte der Rabbi fest.
    Kaplans Miene hellte sich auf. «Ja, stimmt! Das ist es.»
    Als er den Rabbi beim abendlichen minjen wieder sah, berichtete er ihm über das Ereignis. «Sie hätten dabei sein müssen, Rabbi. Es waren unheimlich viele Leute da. Hätte nie gedacht, dass er so beliebt war.» Kaplan lachte. «Aber als ich ein paar Bemerkungen hörte, kam es mir vor, als wären die alle nur gekommen, um sich zu vergewissern, dass er auch wirklich tot ist.»
    Der Rabbi zog die Brauen hoch. «Ach?»
    «Sie wissen doch, was der war, nicht wahr?»
    «Ein Kleinkreditfinanzier?»
    «Ein Wucherer war er. Hat Geld auf große Risiken verliehen. Zweite und dritte Hypotheken, gegen Sicherungsübereignung, und so weiter. Er verlangte zwischen 25 und 30 Prozent Zinsen. Aber Sie hätten die Grabrede hören sollen: Dieser Rabbi Rogin, der den Trauergottesdienst leitete, wollte gar nicht aufhören, davon zu reden, dass Kestler zwar Geld verliehen hätte, aber ‹nicht an die großen Finanziers oder die Industriekapitäne, sondern an die Armen und Gedemütigten›. Wahrscheinlich hat er den Sohn nach seinem Vater ausgefragt und alles ein bisschen ausgeschmückt.»
    Der Rabbi nickte bekümmert. «Früher haben wir nur für große Männer solche Grabreden gehalten, aber heutzutage erwarten das alle Familien und finden es richtig, dass man die Verstorbenen lobt, selbst wenn sie es besser wissen. Und später behalten sie sie so in Erinnerung, wie der Rabbi sie bei der Grabrede hingestellt hat. Vielleicht ist das gar nicht so schlecht, wenn es einen Sohn veranlasst, ein bisschen besser von seinem Vater zu denken. Die Geschichtsschreiber machen schließlich dasselbe mit den Staatsmännern und Helden, für die sie ein Faible haben. Und ihr Anwälte, macht ihr nicht auch dasselbe, wenn ihr vor den Geschworenen ein Plädoyer haltet?»
    «Ja, kann schon sein», antwortete Kaplan. Als Rabbi Small sich zum Gehen wandte, fiel Kaplan aber noch etwas anderes ein. «Hören Sie, Rabbi, Sie haben den Alten doch immer besucht. Was für einen Eindruck machte er da auf Sie?»
    «Wie meinen Sie das? Er machte den Eindruck eines alten, kranken Mannes.»
    «Na ja, wissen Sie – hinterher gingen die Leute zu Joe Kestler, um ihm zu kondolieren. Und eine Frau, eine Verwandte, nehme ich an, sagte zu ihm, wie überrascht sie gewesen sei, als sie die Nachricht bekommen hätte. Als sie ihn zuletzt gesehen hätte, da hätte sie ihn so wach und lebendig gefunden. Und Joe sagte, es sei ihm auch gut gegangen, bis er die Pillen genommen hätte, die ihm der Arzt verschrieben hat.»
    Der Rabbi musterte Kaplan mit scharfem Blick. «Und was halten Sie

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