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Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Titel: Am Mittwoch wird der Rabbi nass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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Jetzt aber ist das nichts weiter als das Bewahren einer Tradition, auch keine üble Sache an sich, aber nicht Religion, weil es keine Verbindungsaufnahme mit Gott ist. Was passiert also? Das Bedürfnis, Verbindung mit Gott aufzunehmen, ist noch da, aber wir dringen nicht mehr zu ihm durch. Und was ist die Folge? Ich werde es Ihnen sagen: Die Menschen, vor allem unsere jungen Menschen, wenden sich bei dem Bemühen um Verbindungsaufnahme anderswohin. Sie wenden sich dem Zen-Buddhismus zu, dem Meher Baba, dem Krischnamurti; manche gehen zu Chabad, andere versuchen es mit Drogen. Das ist die Folge.»
    Er hielt inne, um sich triumphierend im Raum umzusehen, als hätten sie mit ihm diskutiert und er hätte soeben sein Trumpf-As ausgespielt. «Und hilft es ihnen?», fragte er. Um sich die Frage sofort selbst zu beantworten. «Natürlich hilft es einigen. All diese Sekten sagen einem nicht, dies ist richtig, und das ist falsch, wie es die traditionellen Religionen tun, sie lehren lediglich die Methode, wie man das eine erreichen und das andere vermeiden kann. Mit anderen Worten, sie zeigen einem nicht, wo das Ziel ist, sie erklären einem nur, wie man dorthin gelangt.
    Und jede verfügt über einen anderen Weg zum Ziel. Ist das so sonderbar? Wenn man nach Chicago will, gibt es da nur einen einzigen Weg? Es würde doch davon abhängen, wie man reisen will und woher man kommt, nicht wahr? Nun, wir alle kommen aus verschiedenem Lebensstil. Wir kleiden uns verschieden, wir essen verschieden, wir leben verschieden, warum sollten wir also nicht auch verschieden beten, meditieren, Verbindung mit Gott herstellen? In Indien setzt man sich zum Essen auf den Boden, und wenn man jemandem Respekt erweisen will, wirft man sich lang vor ihn hin …» Um seine Worte zu veranschaulichen, duckte er sich plötzlich neben dem Tisch nieder, als erwarte er die Peitsche seines Herrn zu verspüren. Gleich darauf sprang er wieder auf die Füße. «Also ist es nur natürlich, wenn sie im Lotossitz meditieren. Das erzielt aber bei uns nicht die gleiche Wirkung, weil es unserer Tradition und unserem Lebensstil fremd ist. Wir berühren nicht mit der Stirn den Boden wie die Moslems, und wir knien nicht wie die Christen, um unseren Respekt zu zeigen. Wir stehen. Auch halte ich nichts von dem Wiegen und Schütteln der Chassidim – deren Interpretation der Worte ‹Liebe deinen Gott mit ganzem Herzen und ganzer Kraft› … ich finde, das ist uns ebenfalls fremd.
    Das Hauptgebet in unserer Liturgie, das Schemonesre – die achtzehn Segnungen –, das zu jedem Gottesdienst gehört, heißt auch Amida , das Stehen, weil wir stehen, wenn wir es sprechen. Wenn wir also Verbindung mit Gott aufnehmen wollen, stehen wir schweigend und meditieren, und jeder nimmt die Verbindung direkt auf, ohne Vermittlung durch einen Heiligen wie bei den Christen oder auch durch einen rebbe wie bei den Chassidim. Wir stehen – zum Zeichen unseres Menschentums, zum Zeichen unserer Überlegenheit über niedere Kreaturen, zum Zeichen dafür, dass wir nach Seinem Bilde geschaffen wurden. Da es undenkbar ist, dass Er kniet, dürfen wir ebenfalls nicht knien.
    Nun, während ein Geübter fast überall, unter nahezu allen Bedingungen Verbindung aufnehmen kann , meditieren kann , brauchen die meisten von uns die Unterstützung der anderen. Und darum beten wir in der Gruppe, als Einzelne, aber in der Gruppe, in einem minjen , in einer Gemeinde von zehn oder mehr erwachsenen Männern, ohne Frauen und Kinder, die uns ablenken könnten. Daran ist nichts Puritanisches. Es ist keineswegs männlicher Chauvinismus. Es ist so natürlich wie das Leben selbst. Sie alle wissen, dass Kinder sich nicht lange konzentrieren können. Nach wenigen Minuten werden sie unruhig, stellen Fragen, müssen einmal hinaus. Und genauso wenig, wie Sie sie in der Nähe haben wollen, wenn Sie Ihre Steuererklärung machen, wollen Sie sie in der Nähe haben, wenn Sie Verbindung mit Gott aufnehmen. Frauen wiederum lenken uns auf andere Art und Weise ab. Sie sind keineswegs ein Wüstling, wenn Ihnen bei dem Gedanken an eine Frau ein bisschen warm wird. Das ist nur natürlich. So hat uns Gott geschaffen. Wäre es anders, würde die menschliche Rasse aussterben. Er wollte, dass wir so reagieren. Das meinte Er, als Er uns befahl, seid fruchtbar und mehret euch. Aber wenn wir mit Ihm Verbindung aufnehmen wollen, ist das nur störend. Und schon bald denken wir statt an Ihn nur noch daran. Einige sehr fromme Gläubige, vor allem

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