Am Mittwoch wird der Rabbi nass
vielleicht einen oder zwei, die’s richtig ernst meinen, fromme Menschen wie Chet oder der Rabbi der Gemeinde, aber wenn Sie sich den Rest ansehen – die tun doch eigentlich immer nur so. Hier aber, hier meinen wir’s alle ernst. Damals, beim ersten Mal, als wir da den Sabbat empfingen, war ich so zutiefst bewegt, dass mir war, als wir uns zur Tür umdrehten – dass mir da war, als müsste gleich eine phantastisch schöne Frau hereingeschritten kommen. Und da, in diesem Augenblick, wusste ich, dass sie bei mir war, meine Charlotte. Sie war die ganze Zeit bei mir gewesen, aber ich hatte ihre Nähe nicht bemerkt, weil ich mir keine Mühe gegeben hatte.»
Cohen nickte mitfühlend.
«Die Hauptsache ist», fuhr Charn fort, «dass man sich richtig gehen lässt. Beim ersten Mal habe ich geweint wie ein Kind. Das tue ich manchmal immer noch, aber jetzt merkt das niemand mehr. Und übrigens, Doc, wenn Sie runtergehen, suchen Sie sich einen Platz am Fenster. Dann können Sie sich auf die Fensterbank stützen, denn wenn man nichts hat, wo man sich ein bisschen anlehnen kann, ist diese Meditation verdammt schwer durchzustehen.»
Eine Glocke läutete. Charn sagte: «Oh, das ist das Zeichen für die erste Meditation. Gehen Sie schon mal vor. Warten Sie nicht auf mich. Ich komme wahrscheinlich ein bisschen später, aber das macht weiter nichts, denn Rabbi Mezzik fängt immer mit einer kleinen Rede an, und die habe ich schon ein paar Mal gehört.»
Die anderen hatten anscheinend nicht auf die Glocke gewartet, denn sie saßen alle schon, als Dr. Cohen den Versammlungsraum betrat. Matthew Charns Warnung folgend, suchte er sich einen Stuhl an einem der Fenster. Erstaunt stellte er fest, dass sie alle Gebetsschals mitgebracht hatten. Hinter dem Tisch stand Rabbi Mezzik, ein beinahe zu schöner Mann mit Gardistenschnauz und Van-Dyke-Bart. Cohen hatte den deutlichen Eindruck, dass er jünger war als die rebbezen. Er war prächtig angetan mit einer hohen Kantors jarmulke aus Samt und einem über die schwarze Gelehrtenrobe drapierten seidenen Gebetsschal. Rabbi Mezzik bat um Aufmerksamkeit, indem er auf den Tisch klopfte, der ihm als Lesepult diente.
«Ich bitte alle, ihren tallith umzulegen», sagte er. «Diejenigen, die keines mitgebracht haben, können sich eins von den Tüchern nehmen, die wir bereitgestellt haben.»
Dr. Cohen holte sich eins und legte es sich um die Schultern. Aber er war ein bisschen unsicher, da er immer geglaubt hatte, der Gebetsschal werde ausschließlich bei der Morgenandacht verwendet.
Als habe er seine unausgesprochene Frage erraten, fuhr Rabbi Mezzik sogleich fort: «Gewöhnlich tragen wir den tallith nur bei der Morgenandacht. Der Grund für diesen Brauch ist eine Menge halachischer Unsinn, auf den wir diesmal nicht näher eingehen wollen. Glauben Sie mir, es ist durchaus zulässig, den Schal hier und jetzt zu tragen. Und wir werden ihn jedes Mal tragen, wenn wir als Gruppe zusammenkommen, ob es Tag ist oder Nacht. Und selbst wenn wir den Waldspaziergang machen, den Chet für morgen Nachmittag geplant hat, werden wir ihn umlegen. Denn der tallith ist in Wirklichkeit ein Gewand wie die Toga der alten Römer, und nur die Tatsache, dass er Fransen hat, unterscheidet uns von den anderen Völkern.
Also, bevor wir mit unserem Programm beginnen, möchte ich Ihnen eine Vorstellung davon vermitteln, um was es uns dabei überhaupt geht, vor allem den neu Hinzugekommenen. Diejenigen, die meine Einführung schon gehört haben – nun, denen kann es keineswegs schaden, sie sich noch einmal anzuhören. Bei diesem Programm geht es um Religion. Und worum geht es bei der Religion? Bei jeder Religion? Um Gott, um das Bemühen der Menschen – aller Menschen, über die Zeiten hinweg –, Verbindung mit Gott aufzunehmen. Das ist Religion. Religion ist nicht , wenn man an einem bestimmten Ort, in einer Synagoge, einer Kirche, einer Moschee, zusammenkommt, um in einer altmodischen, archaischen Sprache bestimmte Worte vor sich hin zu murmeln. Das ist geselliges Beisammensein. Das ist Kontaktaufnahme mit Freunden und Nachbarn, mit der Gesellschaft. An sich gar keine üble Sache, aber es ist keine Verbindungsaufnahme mit Gott, und darum ist es keine Religion.
Und jetzt werde ich Ihnen was Komisches sagen», führte Rabbi Mezzik aus. «Früher einmal war es Religion. Wann? Damals, als diese Gebete erdacht wurden, als die Sprache, in die sie gefasst waren, noch nicht archaisch war, als sie die normale Umgangssprache war.
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