Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Titel: Am Mittwoch wird der Rabbi nass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
Vom Netzwerk:
die Chassidim, tragen einen Gürtel um die Taille, um den oberen Teil des Körpers vom unteren zu trennen. Ich persönlich glaube kaum, dass das zu etwas anderem gut ist als zum Zweck, ein Rutschen der Hose zu verhindern. Nein, am besten hat man sie gar nicht in der Nähe.» Er lächelte den Männern zu. «Und jetzt frage ich euch, ist es männlicher Chauvinismus, wenn man zugibt, dass man so viel von den Frauen hält, wenn man gesteht, dass sie uns von Gott selbst ablenken können?
    Nun gut, jetzt möchte ich Sie alle bitten, aufzustehen und den Kopf mit dem Gebetsschal zu bedecken. Ja, so ist es richtig, zieht ihn ganz über den Kopf. So schließt ihr alles ringsherum aus und könnt mit euren Gedanken allein sein. Ihr schließt die Welt aus, isoliert euch, um mit Gott Verbindung aufzunehmen. Und jetzt werdet ihr eine halbe Stunde lang in stummer Meditation stehen bleiben. Wenn ihr nicht mehr stehen könnt, setzt euch hin und ruht euch ein Weilchen aus, aber haltet durch, solange ihr könnt. Und seht bitte nicht auf die Uhr. Ich werde euch sagen, wenn die Zeit um ist. Anschließend halten wir unseren regulären Freitagabendgottesdienst, und dann werden wir das köstliche Sabbatmahl genießen, das Mrs. Mezzik für uns bereitet hat.»

20
    Am Freitagnachmittag machte Rabbi Small den Kestlers seinen Kondolenzbesuch. Er hatte diese traurige Pflicht im Laufe der Jahre zahllose Male ausgeübt, aber er hatte sich nie daran gewöhnen können; daher empfand er die halbe Stunde, oder wie lange der Besuch dauern mochte, immer wieder als äußerst unbehaglich. War der Verstorbene jung gewesen, ein Kind vielleicht, war der Kummer der engsten Familie zumeist überwältigend, und wenn er ging, hatte er jedes Mal das Gefühl, die Trauernden nur gestört zu haben. War es dagegen ein alter Mensch, etwa ein greiser Elternteil, war die Atmosphäre eher gedämpft als traurig. Er wusste genau, dass die Gespräche vor seinem Eintreffen ebenso normal gewesen waren wie bei anderen gesellschaftlichen Ereignissen, hier und da vielleicht sogar durch einen kleinen Scherz aufgeheitert. Ja, zuweilen hatte er sogar gedämpftes Lachen gehört, als er sich der Tür näherte, die angelehnt blieb, damit die Familie nicht bei dem ständigen Läuten immer wieder aufspringen musste. Sobald er eintrat, wurden jedoch die Mienen ernst, und das Gespräch bestand nur noch aus philosophischen Platitüden, fast so, wie lärmende Schulkinder still werden, wenn sich der Lehrer der Klasse nähert. Und er verabscheute diese deprimierende Rolle, die er als professioneller Kondolenzträger der Gemeinde ausüben musste. Er konnte sich nie ganz damit aussöhnen. Zwar war es angebracht und richtig, die Toten zu betrauern, diese Trauerzeit sollte auch dazu dienen, den Hinterbliebenen bei der Bewältigung ihres Kummers zu helfen, und da er sie durch seine Gegenwart immer wieder daran erinnerte, tat er ihnen vielleicht einen schlechten Dienst. Überdies fand er, dass es falsch sei, Trauer vorzutäuschen, die man nicht empfand.
    Nichtsdestoweniger war er entsetzt, als er das Haus der Kestlers betrat und Joe mit seiner Frau beim Kartenspielen antraf.
    «Ach, Sie sind’s, Rabbi!», sagte Joe Kestler. «Kommen Sie rein.» Und dann erklärte er ein wenig verlegen: «Meine Frau war so deprimiert, da dachte ich, ein bisschen Rommé könnte sie vielleicht ablenken von: na ja, von allem.»
    «Ich verstehe», erwiderte der Rabbi.
    Christine Kestler kam ihrem Mann zu Hilfe: «Ja, stimmt, Rabbi. Ich war ganz kribbelig. Es war ein solcher Schock für uns.»
    «Immerhin war er sehr alt und außerdem krank», wandte der Rabbi ein.
    «Aber er hätte noch jahrelang leben können», behauptete Kestler, «wenn Cohen ihm nicht diese Pille gegeben hätte.»
    Eingedenk seiner Unterhaltung mit Lanigan gab der Rabbi scharf zurück: «Wollen Sie damit andeuten, der Arzt hätte Ihrem Vater absichtlich ein Medikament gegeben, das ihm schadete?»
    «Ich will überhaupt nichts andeuten», sagte Kestler halsstarrig. «Ich weiß nur, dass Cohen sauer auf meinen Vater war, weil der ihn wegen des Zauns verklagt hat. Vielleicht hat er sich deswegen nicht genug Zeit für ihn genommen. Er war im Handumdrehen mit ihm fertig. Ich habe ihm deswegen sogar Vorwürfe gemacht. Nicht wahr, Chris?»
    «Das stimmt!» – Sie nickte energisch. «Joe war richtig sauer darüber.»
    «Wenn die Diagnose auf der Hand lag …», meinte der Rabbi.
    «Dann lag sie eben nicht auf der Hand, sonst wäre mein Vater ja nicht

Weitere Kostenlose Bücher