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Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Titel: Am Mittwoch wird der Rabbi nass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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enthielt nichts weiter als einen Tisch an einem Ende und eine Anzahl Klappstühle. Er nahm in der Höhe beide Stockwerke des Hauses ein, sodass man über sich das Spitzdach mit den Schrägbalken sah, die sich am Dachfirst trafen.
    «Wie eine Kirche, nicht wahr?», sagte Kaplan. «Das Dach, meine ich. Es ist fast gotisch.»
    «Ja, sehr schön», antwortete Dr. Cohen.
    Eine weitere Geste mit dem Klemmbrett bezog sich auf ein Balkongeländer, das an einer Seite des Raumes entlanglief. «Da oben sind die Schlaf- und Badezimmer. Sie gehen da die Treppe rauf und finden Zimmer zwölf am Ende. Zunächst aber -» er deutete mit dem Klemmbrett auf den Hintergrund des Raumes –, «der Speisesaal liegt hinter den Falttüren dort. Da bereitet die rebbezen gerade unser Sabbatmahl vor. Kommen Sie, Sie müssen sie kennen lernen.» Er führte den Arzt auf die Trennwand zu und schaffte es, trotz des Klemmbrettes in der Hand, den Knauf zu drehen und die Tür aufzustoßen. «Mrs. Mezzik», rief er fröhlich, «wir brauchen ein Gedeck mehr für Dr. Cohen hier. Dr. Cohen, das ist Mrs. Mezzik, die Frau unseres Rabbi.»
    Sie war klein, pummelig, etwa Mitte dreißig und quittierte die Vorstellung mit einem traurigen, müden Lächeln. Zu Kaplan sagte sie: «Keine Sorge, es gibt reichlich zu essen. Möchten Sie die Platzkarten verteilen?»
    «Sie werden hier ein Sabbatmahl kriegen, an das Sie noch lange denken werden, Doktor. Warten Sie nur ab, bis Sie die gefüllte fisch unserer rebbezen probiert haben – genau wie bei Muttern.»
    «Ich hacke ihn, statt ihn durchzudrehen», gestand sie schüchtern.
    Immer noch seinen Arm im Griff, drehte Kaplan Dr. Cohen herum und steuerte ihn zur Tür. «Am besten gehen Sie jetzt erst mal rauf und schließen Bekanntschaft mit Matt Charn. Ich muss mich um die Vorbereitungen kümmern.»
    Dr. Cohen stieg die Treppe hinauf und ging auf dem Balkon weiter, bis er zu Zimmer zwölf gelangte. Er klopfte an, obwohl die Tür nur angelehnt war, und trat auf das «Ja» von drinnen hin ein. Das Zimmer enthielt nichts weiter als zwei Liegen und eine gestrichene Kommode. Von der Decke baumelte eine einzige, mit Fliegendreck übersäte Glühbirne. Auf einem Bett lag ein korpulenter Mann mit dickem Bauch und rosigen Backen. Er war nur mit Socken, Unterhose und Unterhemd bekleidet.
    «Matthew Charn? Ich bin Dr. Cohen. Ich soll mit Ihnen das Zimmer teilen.»
    Der andere richtete sich auf und streckte die Hand aus. «Freut mich, Doktor.» Dann erklärte er, warum er nur Unterbekleidung trug. «Ich ziehe mich immer um, zu Ehren des Sabbat. Das hat mir meine Mutter beigebracht, als ich noch klein war.» Er besaß eine gutturale, raue Stimme, die klang, als müsse er sich räuspern.
    «Sind Sie ein richtiger Mediziner? Ich frage nur, weil ich einen Neffen habe, der ist auch Doktor, aber der ist keinen roten Heller wert, wenn man mal Bauchschmerzen hat. Weil er nämlich Doktor der Volkswirtschaft ist.» Er lachte dröhnend. «Und an der Börse taugt er auch nicht viel. Sind Sie das erste Mal hier draußen?»
    «Ganz recht.»
    «Dann darf ich Ihnen sagen, dass das hier ein richtiges religiöses Erlebnis ist. Ich hab fast alle Klausuren mitgemacht, die Chet organisiert hat. Als ich zum ersten Mal hierher kam, war ich völlig zusammengebrochen. Ich hatte gerade meine Frau verloren, müssen Sie wissen. Wahrscheinlich brauchte der Mann da oben sie dringender, als er wohl dachte, dass ich sie brauchte, und ich kann Ihnen sagen, ich konnte einfach nicht mehr. Aber ich war trotzdem froh – um ihretwillen, denn sie hatte den großen Bazillus.»
    «Den großen …»
    «Krebs», erklärte Charn. «Schlimm, sage ich Ihnen. Ganz schlimm. Was die in diesem einen Jahr alles hat durchmachen müssen, und dann das Ende – ich wurde einfach nicht mehr damit fertig. Dann entschloss sich Chet zu dieser Klausur und fragte mich, ob ich Interesse habe. Und soll ich Ihnen die Wahrheit sagen?»
    Cohen nickte höflich.
    «Ich hatte kein Interesse. Das ist die reine Wahrheit. Ich hatte für überhaupt nichts Interesse. Aber ich bin trotzdem gekommen, und dieser erste Freitagabendgottesdienst, der hat alles ganz anders gemacht. Sie wissen ja, man soll den Sabbat empfangen wie eine Königin und sich an ihm freuen wie der Bräutigam an seiner Braut. So steht’s in unserem Gebetbuch. Also, ich hab ja schon viele Freitagabendgottesdienste in den verschiedensten Tempeln und Synagogen mitgemacht, aber der damals war ganz anders. In der Synagoge gibt es

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