Am Mittwoch wird der Rabbi nass
Kette auszuhaken, öffnete sie weit und fragte ihn: «Warum hast du nicht vorher angerufen?»
«Ich wollte möglichst schnell herkommen. Außerdem hatte ich Angst, du würdest … du würdest …»
«Nein sagen, wenn ich Zeit zum Nachdenken gehabt hätte? Und wenn ich nun Besuch gehabt hätte? Hast du dir das mal überlegt?»
«Ich dachte, das Risiko könnte ich eingehen. Ich war überzeugt, dass ich Glück haben würde.»
Sie führte ihn ins Wohnzimmer, war aber immer noch nicht besänftigt. «Und die würden dann denken, ich wäre so eine Frau, zu der die Männer einfach kommen und klingeln können. Hast du daran gedacht?»
«Nein, habe ich nicht», gab Akiva mürrisch zurück. «Ich habe überhaupt nichts gedacht, nur dass ich dich möglichst schnell wieder sehen wollte. Sieh doch», bat er sie, «ich bin rasiert, meine Haare sind geschnitten, ich bin angezogen wie ein Spießer und wollte, dass du mich so siehst.»
«Na schön, ich sehe dich.»
«Gefällt es dir?», fragte er eifrig.
«Es ist besser als früher. Auch wenn du keine Zeit hattest, mich anzurufen, bevor du kamst – warum hast du mich nicht angerufen und mir gesagt, dass du wegmusst?»
«Ich … ich bin ziemlich überstürzt abgefahren. Es ging nicht anders. Aber jetzt bin ich wieder da.»
«Für immer?»
«Ich weiß es nicht», antwortete er. «Vielleicht hast du es gehört. Mein Vater ist krank …»
«Ja, ich habe davon gehört. Es tut mir Leid.» Leah verschwieg, dass sie in den Drugstore gegangen war, weil sie dachte, er wäre vielleicht dort.
«Um die Wahrheit zu sagen», erklärte er ernst, «als ich wegfuhr, wollte ich nicht wiederkommen. Dann rief mich meine Mutter an und erzählte mir, was passiert war.»
«Ich verstehe. Und du hast deine Kleidung geändert, du hast deinen Bart abrasiert, weil ich dir das damals über die Bärte gesagt habe?»
Er war versucht, sie anzulügen, ihr zu sagen, er habe es für sie getan. Doch was ihm damals während ihrer kurzen Bekanntschaft am besten gefallen hatte, woran er während der ganzen langen Fahrt nach Philadelphia und anschließend während der darauf folgenden Woche gedacht hatte, das war das Gefühl, ihr gegenüber ganz und gar ehrlich und aufrichtig sein zu können. «Nein, ich habe es für meinen Vater getan.»
«Ach?»
«Er ist mein Vater», fuhr er fort. «Ich schulde ihm das, Leah. Du hast nur angedeutet, dass es dir nicht gefällt, aber er würde sich fürchterlich aufregen, dass jemand wie ich, so wie ich aussah, seinen kostbaren Laden führt. Und er darf sich eben nicht aufregen. So viel bin ich ihm wenigstens schuldig.»
Sie war flüchtig etwas enttäuscht und dennoch seltsamerweise beruhigt. «Wie geht es ihm?»
«Ich war heute Morgen bei ihm, gleich nach dem Besuch beim Friseur. Ich war genauso angezogen wie jetzt. Er lag da, starrte zur Decke hinauf und wirkte erschöpft und irgendwie ausgelaugt. Ich erinnere mich nicht, ihn jemals so erlebt zu haben. Aber als er mich sah, wurde er richtiggehend munter und gab mir ausführliche Instruktionen, was im Geschäft alles zu machen sei. Und ich habe still zugehört.» Er erkannte, dass sie nicht begriff. «Ich meine, ich habe ihm nicht widersprochen, ich habe zugehört und ihm zugestimmt. Weißt du, es ging gar nicht um wichtige Dinge. Darum ging es eigentlich nie. Es ging nur um eine ganz bestimmte Art, Rechnungen zu schreiben, Waren auszustellen oder Etiketten auszuzeichnen.» Er grinste. «Ich fühlte mich großartig dabei. Als hätte ich eine richtige mizwe gemacht.»
«Und was hätte dein rebbe dazu gesagt?», fragte sie neckend.
Er erwog die Frage jedoch ernsthaft. «Tja, die meisten Mitglieder der chavura hätten mich wahrscheinlich verurteilt, weil ich mich rasiert habe – diejenigen, die keinen Bart tragen, benutzen ein Enthaarungsmittel oder einen elektrischen Rasierer, was aus irgendeinem Grund zulässig ist –, vor allem, weil ich mir am Sabbat den Bart habe abnehmen und die Haare habe schneiden lassen und weil ich am Sabbat gearbeitet habe, aber der rebbe selbst hätte es, glaube ich, gutgeheißen. Er ist nicht wie die durchschnittlichen chassidischen rebbes. Er ist modern. Und ich weiß, dass es richtig ist, weil ich ein gutes Gefühl dabei hatte. Manchmal hat man ein gutes Gefühl, wenn man etwas für sich selbst tut, schön faul in der Sonne liegt etwa, oder wenn man mit einem Mädchen schläft und das einfach richtig ist; aber wenn man etwas für einen anderen tut – nicht nur eine Gefälligkeit,
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