Am Montag flog der Rabbi ab
von der Wohnungseigentümerin, die sie erst letzte Woche besucht hatte und die ausgezeichnet mit ihrer Schwester zurechtkam; von Sarah Adoumi, bei der sie auf einen Sprung hereingeschaut hatte, bevor sie herkam, und wegen deren Behandlung im Hadassa sie schwere Bedenken hatte. Unwillkürlich beschleunigte sie ihren Arbeitsrhythmus, sobald sie etwas erwähnte, das sie ärgerte.
Ihr Hauptthema war jedoch ihr Sohn Uri, und dann steigerte sie ihr Tempo zu einem Furioso, um ihrer Enttäuschung über ihn Ausdruck zu verleihen. «Er ist groß wie sein Vater und ein hübscher Junge. Das finde nicht nur ich als seine Mutter. Du wirst schon selber sehen, wenn er nachher kommt. Und beliebt ist er. Die Mädchen sind alle verrückt nach ihm. Er könnte an jedem Finger zehn haben. Und was tut er? Er verliebt sich in ein Mädchen aus armer Familie. Tunesier oder Marokkaner oder so was. Sie behaupten ja, da war ein Unterschied, aber ich konnte den nie erkennen. Außerdem ist sie auch noch dunkel wie ’ne Araberin. Und er wird plötzlich fromm, weil ihre Familie sehr streng gläubig ist. Das sind die immer. Sie ist deswegen sogar vom Militärdienst befreit. Uri behauptet, sie wollte schon, aber ihr Vater hat sie nicht gelassen. Kann ja sein. Wenn das stimmt, dann hat sie jedenfalls mehr Respekt vor ihren Eltern als er vor seinen. Er betet sogar jeden Morgen, mit Gebetsriemen. Wie konnte das bloß passieren? Er ist doch in einem aufgeklärten Haus aufgewachsen.»
«Mein David betet jeden Morgen.»
«Jetzt auch? Du hast doch gesagt …»
«Er denkt daran, seinen Beruf zu wechseln, nicht seinen Glauben.»
«Na, ein Rabbi muss das wohl; ist ja schließlich sein Metier. Und inzwischen wird’s ihm zur Gewohnheit geworden sein.» Es war offenkundig, dass sie das Beispiel ihres Neffen nicht als schlüssigen Beweis betrachtete. «Und neuerdings spricht er davon, in einen religiösen Kibbuz zu gehen, wenn er aus der Armee ausscheidet. Hast du ’ne Ahnung, was das bedeutet? Er wird jedes Jahr ein Kind haben und sein ganzes Leben lang Landwirt sein.»
«Findest du es nicht gut, im Kibbuz zu leben, Gittel?»
«Natürlich. Das gehört zu unseren großen sozialen Errungenschaften und Leistungen. Früher war es für den Aufbau des Landes notwendig. Aber heute liegen die Dinge anders.» Als Miriam nicht zu begreifen schien, erläuterte sie: «Ich meine, jetzt, wo das Land etabliert ist, da ist das nicht mehr nötig. Er könnte Arzt werden oder Ingenieur oder Naturwissenschaftler. Uri hat einen guten Kopf.» Und als Miriam anscheinend immer noch nicht verstand, sagte sie ungeduldig: «Ist es denn so ungewöhnlich, wenn eine Mutter sich das für ihren Sohn wünscht? Kein leichteres Leben, nein, aber die Chance, seine Fähigkeiten voll zu entwickeln?»
Miriam verfolgte das Thema nicht weiter, da es Gittel aufzuregen schien, sondern lenkte auf neutrales Gebiet ab. «Meinst du, er bringt seine Freundin mit?»
«Ich hab gestern mit ihm telefoniert. Er sagt, nein. Ihr Vater hat was dagegen; er hält es nicht für schicklich. Da bekommst du mal eine Vorstellung, wie sie erzogen ist. Sie sind letzten Endes Orientalen.»
«Möchtest du sie denn nicht gern sehen?»
«Dies Vergnügen kann ich mir für später aufsparen.»
Am frühen Abend ging der Rabbi in die Synagoge, und als er nach dem Gottesdienst zurückkam, waren die Kerzen bereits angezündet und der Tisch mit den zwei Weißbrotzöpfen, den Barches, dem Weinkrug und den Gläsern neben dem Teller des Rabbi am Kopfende gedeckt. Die Frauen waren noch in der Küche beschäftigt, und der Rabbi ging im Wohnzimmer auf und ab, wobei er eine chassidische Melodie summte. Alles wartete auf Uri.
«Wird er ’ne Uniform anhaben?», erkundigte sich Jonathan bei Gittel.
«Was denn sonst?»
«Und bringt er sein Gewehr mit?»
«Er ist Offizier, da trägt er kein Gewehr.»
«Ach.» Jonathan war so offensichtlich enttäuscht, dass sie eilends hinzufügte: «Dafür hat er eine Pistole. Die hat er wahrscheinlich mit.» Die Minuten dehnten sich zu einer Viertelstunde, dann einer halben, und Miriam stellte fest, dass ihr Mann von Zeit zu Zeit auf die Uhr sah, während er im Zimmer umherwanderte. Gerade wollte sie Gittel fragen, ob sie nicht schon anfangen sollten, als sie hörten, wie die Haustür ging. Dann läutete es, Jonathan machte eilfertig auf, und da stand Uri.
Er entsprach genau den Schilderungen seiner Mutter. Hoch gewachsen, sonnengebräunt, sicheres Auftreten. Bei Jonathan hatte er im Nu
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