Am Montag flog der Rabbi ab
gesiegt – die Uniform, die Stiefel, die Baskenmütze und natürlich vor allem die Pistole. Dem Rabbi schüttelte er bei der Vorstellung die Hand, Miriam aber küsste er herzlich auf den Mund. «Ein hübsches Mädchen muss man küssen», erklärte er. «Du hast doch nichts dagegen, David?» Seiner Mutter gegenüber benahm er sich, als habe er sie vor einer Stunde zuletzt gesehen. Miriam zuliebe sprach er Englisch, mit starkem, kehligem Akzent.
«Hast du dich gut amüsiert auf der Konferenz letzte Woche?», begrüßte er seine Mutter.
«Zu einer Konferenz geht man nicht, um sich zu amüsieren», gab sie tadelnd zurück.
Sie hatten sich weder geküsst noch umarmt; nur die Besitzergeste, mit der sie einen Fussel von seiner Jacke schnippte und dann ein Fältchen an der Schulter glättete, ließ eindeutig auf die verwandtschaftliche Beziehung schließen.
«Wozu denn? Um was zu lernen?» Dann frotzelnd: «Was können die dir schon beibringen?» An Miriam gewandt, erklärte er: «Sie trifft dort all ihre alten Busenfreunde – aus Jerusalem, aus Haifa, sogar aus Tel Aviv. Manche wohnen direkt in ihrer Nachbarschaft, aber sie bekommt sie nie zu Gesicht außer bei diesen Konferenzen.»
Gittel gab sich ihm gegenüber betont sachlich und ließ sich nichts von dem Stolz anmerken, mit dem sie Miriam von ihm erzählt hatte. Sie sprach in einem leicht ironischen Ton mit ihm, doch wenn sie seine Freundin erwähnte, wurde er bewusst bitter sarkastisch. Seine Antworten waren tolerant und gutmütig; nur manchmal brauste er gereizt auf und machte eine beißende Bemerkung, gewöhnlich auf Hebräisch.
«Ihr Vater hat sie wohl nicht gehen lassen, weil er dachte, hier ist es nicht koscher?», fragte Gittel.
«Hör mal, ich hab dir das schon am Telefon erklärt, weil ich mich nicht mit dir streiten wollte. Es war meine Idee, dass sie heute Abend nicht mitkommen sollte.»
«Ach, du wolltest nicht, dass sie mich kennen lernt? Schämst du dich vielleicht deiner Mutter?»
«Keine Sorge. Du wirst sie kennen lernen. Und Miriam und David hoffentlich auch. Aber nicht alle zusammen, zumindest nicht beim ersten Mal. Weil du bestimmt irgendwas sagen würdest, und dann bekämen wir Krach. Und ich möchte David und Miriam nicht den Sabbat verderben. Sie wollte kommen, aber ich hab sie überredet, es nicht zu tun.»
«Wollen wir zu Tisch gehen?», schlug der Rabbi versöhnlich vor.
Sie standen hinter ihren Stühlen, während er den Kiddusch anstimmte. Uri hatte die Baskenmütze mit einer schwarzseidenen Jarmulke vertauscht. Gittel sagte nichts, doch der verkniffene Mund verriet ihre Enttäuschung. Als sie sich zum Essen setzten, sagte sie: «Der Fetzen Seide ist heiliger als deine Militärmütze? Vielleicht deckt er mehr zu?»
Er lächelte gutmütig. «Aus der Uniform rauszukommen, und wenn’s auch nur ein Stückchen ist, gibt einem das Gefühl, wirklich auf Urlaub zu sein.»
«Diese Argumentation versteht deine Freundin bestimmt besser als ich. Du hast sie doch heute gesehen, nehme ich an.»
«Ja, ich hab Esther gesehen», entgegnete er trotzig auf Hebräisch. «Wir sind eine Weile im Park rumgebummelt, und dann bin ich hergefahren. Was ist dabei?»
«Es wundert mich, dass ihr Vater nicht verlangt hat, du sollst mit ihm zur Schul gehen, wahrscheinlich zur Klagemauer.»
«Er hat mich gefragt, und wenn ich nicht hergekommen wäre, hätte ich ihn begleitet. Er geht nicht zur Klagemauer, sondern in eine kleine Schul im orthodoxen Viertel, die ich sehr gern mag.»
«Jetzt hat er auch noch eine Vorliebe für eine bestimmte Schul, mein Sohn. Er entwickelt sich zu einem richtigen Rabbi. Jeden Tag legt er die Gebetsriemen an und betet …»
«Na und? Wenn du dich an was erinnern willst, bindest du dir einen Faden um den Finger. Was ist also dabei, wenn ich mir einen Lederriemen um den Arm und einen um die Stirn binde …»
«Um dich woran zu erinnern?», fragte seine Mutter.
Er zuckte die Achseln. «Ich weiß nicht. Vielleicht daran, dass ich, wenn ich allein patrouilliere, doch nicht allein bin. Es besteht immer die Möglichkeit, eine Kugel von einem Heckenschützen zu erwischen oder auf eine Mine zu treten. Kein angenehmer Gedanke, dass es nur Glückssache ist, dass es nicht passiert wäre, wenn du nicht diesen einen Schritt mehr gemacht hättest. Da ziehe ich den Gedanken vor, dass es einen großen Plan gibt, von dem ich ein Teil bin, ja, und selbst wenn ich erschossen werde, gehört es zu diesem Plan. Sieh mal, all das hier, die Kerzen,
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