Am Montag flog der Rabbi ab
akzeptiert, das Abbrechen ihres Gesprächs zu rechtfertigen.
Doch Gittel war sofort alarmiert und verlangte nähere Auskünfte. «Wer behandelt dich, Miriam? Vielleicht kenne ich ihn. Wenn es was Ernstes ist, kann ich es vermutlich arrangieren, dass dich der Chefarzt untersucht.»
Da sie es ihr sowieso beim nächsten Besuch erzählen wollte, erklärte sie ihr jetzt telefonisch, es handle sich um eine reine Routineuntersuchung in der Frauenklinik, weil sie ein Kind erwarte.
«Na, wunderbar! Masel-tow! Herzlichen Glückwunsch! Wann ist’s denn soweit? Ach, Miriam, das Baby kann in Israel zur Welt kommen! Wenn David zurück zu seiner Arbeit muss, kannst du doch hier bleiben. Du kannst nach Tel Aviv kommen mit Jonathan. Und ich kann mich um den Jungen kümmern, während du in der Klinik bist. Es wird zwar ein bisschen eng, aber wir in Israel sind groß im Improvisieren. Sollte Uri auf Urlaub kommen, kann er auf dem Sofa im Wohnzimmer schlafen oder notfalls auch ich.»
Als es Miriam endlich gelang, das Gespräch zu beenden und zur Haltestelle zu eilen, fuhr ihr der Bus vor der Nase weg. Dann musste sie den ganzen Vormittag im Krankenhaus warten, weil sie sich verspätet hatte. Der Arzt war deswegen verärgert, und weder sein Englisch noch ihr Hebräisch reichten aus, die Pechsträhne des Morgens zu erklären. Er war kühl und abweisend, was es ihr unmöglich machte, ihm all die Fragen zu stellen, die sie beunruhigten.
So war es weitergegangen. Auf der Rückfahrt war der Bus überfüllt; sie bekam zwar einen Platz, aber der junge Mann, der neben ihr im Gang stand, aß ununterbrochen Sonnenblumenkerne, zerbiss sie zwischen den Vorderzähnen und spuckte die Schalen auf den Boden, direkt vor ihre Füße. Sie war angewidert; aber da sie mit ihrem Hebräisch die zweifellos folgende Auseinandersetzung nicht bestreiten konnte, bat sie ihn nicht, damit aufzuhören, und litt stumm. Ihre Erleichterung, als er endlich ausstieg, dauerte nicht lange; ein neuer Fahrgast sah die Schalen vor ihr auf dem Boden, vermutete, sie stammten von ihr, und fixierte sie voller Entrüstung, was sie wiederum in heftige Verlegenheit brachte.
Zu Hause stellte sie fest, dass ihr Mann seinen Lunch verzehrt hatte und weggegangen war; das Geschirr stand im Ausguss. Und das Wasser blieb lauwarm, obwohl sie es eine Weile laufen ließ. Dann klingelte es an der Wohnungstür. Gittel.
«Ach, Gittel!» Sie fiel ihrer Tante um den Hals, klammerte sich an sie, und Tränen rannen ihr über die Wangen. Erst als sie sich wieder in der Gewalt hatte, fragte sie, wie Gittel das bloß geschafft habe, wegzukommen.
«Eine Fürsorgerin in Tel Aviv, die sich keine unaufschiebbare Erledigung in Jerusalem organisieren kann, sollte sich einen anderen Beruf suchen. Na, und was ist, wenn meine Schwester mir schreibt und mich fragt, was ich getan hab, als ich erfuhr, dass ihre Tochter schwanger ist? Soll ich ihr antworten, ich konnte leider nicht weg?»
Sie ließ sich von ihrer Nichte die Ereignisse des Vormittags berichten. Und als Miriam in Gittel eine mitfühlende Zuhörerin fand, redete sie weiter, badete sich in Selbstmitleid, während sie auspackte, was alles sie seit ihrer Ankunft bekümmert hatte – ihre Schwierigkeiten mit der Sprache, die ungewohnte Haushaltsführung und sogar ihr Unbehagen über die veränderte Einstellung ihres Mannes zu seiner Arbeit.
Gittel hob die Hand. «Davids Wunsch, seinen Beruf als Rabbi an den Nagel zu hängen, kann ich verstehen. Das ist keine Beschäftigung für einen modernen Menschen mit seinen Fähigkeiten. Und dass er sich hier niederlassen möchte, kann ich nur begrüßen. Vielleicht habe ich ihn verkannt. Aber du erwartest ein Baby, und wir müssen praktisch sein. Deine Mutter ist nicht hier, also muss ich an ihrer Stelle dir raten. Da haben wir erst mal das Problem mit dem Lebensunterhalt. Dein Mann kann nicht einfach abhauen und seine Stellung im Stich lassen. Wenn er das will und herkommen möchte, muss er seine Vorbereitungen treffen. Er muss das richtig planen und alles arrangieren. Sogar gesetzt den Fall, er findet hier morgen einen Job, müsstest du trotzdem in die Staaten zurückfahren und eure Angelegenheiten abwickeln. Und so gern ich es hätte, dass du hier bleibst – ich fürchte, dafür müsstest du rüber. Ehemännern kann man das nicht anvertrauen – Möbel packen, das Haus richtig zusperren –, schon gar nicht, wenn sich’s um einen Rabbi handelt.» Sie machte es ihrer Nichte in einem Sessel bequem und
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