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Am Montag flog der Rabbi ab

Am Montag flog der Rabbi ab

Titel: Am Montag flog der Rabbi ab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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schob ihr ein Fußkissen hin. Dann zog sie sich einen Sessel heran und setzte sich ihr gegenüber. «So, jetzt lass uns mal praktisch sein – und methodisch. Zuerst müssen wir uns mit deinem speziellen Problem befassen. Du bist in den ersten Schwangerschaftsmonaten. Was du brauchst, ist Ruhe, Stille, keine Aufregungen, keine Ängste und Zweifel. Einen Haufen Tests und Bestrahlungen hast du gar nicht nötig; einen Spezialisten auch nicht, für den bist du doch nichts anderes als ’ne Karteikarte. Was du brauchst, ist ein richtiger, netter Hausarzt, ein Praktiker, jemand, der sich mit dir hinsetzt und dir alle deine Fragen beantwortet und der dir sagt, womit du jeweils rechnen musst.»
    «Ach, das wäre ja wunderbar, Gittel, aber zu wem soll ich gehen? Kennst du einen Arzt, der …»
    «In Tel Aviv dutzendweise. Hier in Jerusalem … aber warte mal … meine Freundin Sarah Adoumi … der Arzt, der sie behandelt, Dr. Ben Ami, ist großartig, ein richtiger, altmodischer Doktor. Wenn er zu ihr kommt, hat er’s nie eilig. Danach trinkt er immer noch eine Tasse Tee mit ihnen. Vielleicht tut ihm das auch gut; er ist Witwer oder Junggeselle, auf alle Fälle allein stehend. Er hat ihnen sogar ihre jetzige Wohnung verschafft, weil sie keine Treppen steigen darf. Typisch für ihn. Gib mir mal das Telefonbuch … Aha, da steht er ja – Dr. Benjamin Ben Ami, Shalom Avenue 147. Ich ruf ihn an.»
    «Sollte ich nicht zuerst mit David sprechen?», meinte Miriam.
    «Was verstehen Ehemänner denn schon von diesen Dingen, besonders ein Rabbi … Dr. Ben Ami? Ich bin eine gute Freundin von Sarah Adoumi. Ich würde gern einen Termin für meine Nichte mit Ihnen ausmachen … Sie können Sie jetzt drannehmen? Ausgezeichnet, ich fahre sie gleich rüber.»

26
    Das Jerusalem Café in der Altstadt ist nicht weit vom Damaskus-Tor entfernt. Tausende von Touristen kommen täglich an seinen offenen Türen vorbei, aber nur wenige wagen sich hinein. Es ist auch offenbar nicht für sie gedacht.
    Das Radio ist zu ohrenbetäubender Lautstärke aufgedreht und spielt ununterbrochen melancholische arabische Musik in Moll. Im schummrigen Hintergrund steht ein Billardtisch, an dem gewöhnlich mehrere arabische Jugendliche spielen und jeden Stoß mit geräuschvollen Kommentaren begleiten.
    Auf den restlichen Raum sind ein paar einfache Holztische verteilt, an denen manche Gäste Kaffee trinken und rauchen und andere Karten spielen. Der Kassierer sitzt vor einem Tisch an einer Wand. Er verdreht den Kopf, um besser verstehen zu können, wenn der Gast ihm seinen Verzehr mitteilt, rechnet auf Zetteln zusammen, tut dann das Geld in die Schublade und nimmt das Wechselgeld von kleinen Münzstapeln, die er am Tischrand aufgebaut hat. Man hat Respekt vor ihm, weil er mit Geld umgeht, fix rechnen kann und zudem der Besitzer ist. Direkt hinter seinem Tisch ist ein Spülbecken, in dem sein Sohn, gleichzeitig der Kellner, das schmutzige Geschirr abwäscht.
    Falls sich doch einmal Touristen in das Café verirrten, nahm der Kellner höflich die Bestellung entgegen, servierte und kümmerte sich dann nicht mehr um sie. Die anderen Gäste übersahen sie ebenfalls und blickten nicht einmal in ihre Richtung. Genauso wurde Abdul ignoriert, der ein aufgeschlagenes Buch vor sich hatte und Kaffee trank. Weil er nicht zu ihnen gehörte. Seine Kleidung, das Buch – all das kennzeichnete seinen höheren sozialen Status; womöglich war er sogar Student. Er saß bereits zwanzig Minuten da und trank die zweite Tasse Kaffee, als Mahmud hereinkam. Ohne Abdul zu begrüßen, schlenderte er nach hinten zum Billardtisch, schaute ein paar Minuten zu, ging dann weiter zu einem Tisch, an dem Karten gespielt wurde, unterhielt sich mit den Männern und scherzte freundschaftlich mit ihnen. Dann nahm er einen Hocker, trug ihn zu Abduls Tisch und setzte sich neben ihn.
    Abdul las weiter, nickte jedoch dem Kellner auffordernd zu.
    «Kaffee», sagte Mahmud.
    Als der Kellner ihn gebracht hatte und zu seinem Platz am Spülbecken zurückgekehrt war, begann Mahmud: «Wir haben festgestellt, wo er wohnt, aber Leila meint, wir sollten eine Weile warten.»
    Abdul zuckte die Achseln.
    «Ein Kinderspiel.» Mahmud schnippte mit den Fingern. «Eine neue Wohnung, ein ganz neues Gelände. Er ist der einzige in dem Block, und sein Apartment liegt parterre. Die Vorderfront geht auf die Shalom Avenue, aber seine Haustür ist weit hinten. Und die Straße ist neu; keine Häuser gegenüber.»
    «Na und?»
    «Also

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