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Am Montag flog der Rabbi ab

Am Montag flog der Rabbi ab

Titel: Am Montag flog der Rabbi ab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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könnte er dafür haben? Vielleicht war sein Schwager an der Stellung in Barnard’s Crossing interessiert, und er handelte aus einem Gefühl von falsch verstandener Familiensolidarität heraus?
    Er tat diesen Gedanken als melodramatisch, als vollständig absurd ab. Und doch – was wusste er von Dan Stedman? Sicher, sie hatten sich ein paar Mal angenehm unterhalten, aber von irgendwelchen vertraulichen Mitteilungen war nie die Rede gewesen. Er hatte keine Ahnung von Stedmans Vergangenheit, außer dass er als Fernsehjournalist gearbeitet hatte. Und dieser plötzliche Entschluss, nach Haifa zu fahren – konnte der von Bedeutung sein? Merkwürdig war es auf jeden Fall. Normal wäre der Wunsch gewesen, über die Tragödie zu sprechen, die sich nach ihrem Besuch ereignet hatte. Er versuchte, den Gedanken wegzuschieben, und trotzdem …
    Als er seine Überlegungen auf Roy richtete, wurde ihm klar, dass der Sohn die wahrscheinlichere Informationsquelle war. Falls Memavet etwas notiert haben sollte, dann vermutlich nur den Namen Stedman, und die Polizei wäre bei einer Routinenachforschung auf Roy gestoßen. Und dann hätte sie bei einer Routinebefragung erfahren, dass Roy seinen Vater und dessen Freund, David Small, begleitet hatte. Roy hätte keinen Grund gehabt, diese Information zu verheimlichen. Aber warum hatte er dann nicht angerufen und ihn vorgewarnt, dass die Polizei möglicherweise Erkundigungen einziehen würde? Die Antwort war einfach – die Gedankenlosigkeit und Unüberlegtheit der Jugend – und nach dem, was er von Dan gehört hatte, durchaus typisch.
    Er rief Roy an, sobald er nach Hause kam. Keine Antwort. Er versuchte es später noch einmal und ebenso am folgenden Tag, wiederum ohne Erfolg. Und dann strich er diesen Gedanken. Roy kam am Freitagabend sowieso zum Dinner. Und selbst wenn er sich aus irgendeinem Grund entschuldigen musste, würde ihn die normale Höflichkeit zu einem Anruf veranlassen.
    Als der Rabbi am Freitag auf seine Gäste wartete, war er zu dem Entschluss gekommen, das Thema nicht anzuschneiden. Es war Sabbat, der Tag des Friedens und der Ruhe. Sollte natürlich einer der beiden Stedmans davon anfangen, konnte er sich nicht weigern, darüber zu reden. Aber von sich aus würde er kein Wort sagen.
    Vater und Sohn kamen getrennt, aber fast gleichzeitig. Er hatte gerade die Tür geöffnet und den einen begrüßt, als der andere erschien. Und da es spät war, gingen sie sofort zu Tisch, blieben stehen, während der Rabbi den Kiddusch sprach und den Wein segnete, die Einweihung des Sabbat.
    Es gab das übliche Sabbatmahl: Hühnersuppe, gefüllten Fisch und Huhn. Für Roy, der in Restaurants und in der Cafeteria der Universität aß, war es ein Festschmaus. Bei jedem Gang machte er Miriam begeisterte Komplimente und nahm auf ihr Drängen hin gern ein zweites Mal. «So was krieg ich nicht oft zu essen», erklärte er, «zumindest nicht so gut gekocht.»
    Allmählich schwand seine anfängliche Reserviertheit, und er wurde unter dem Einfluss des guten Essens und des Weins gelockert und entspannt. Die Atmosphäre bei Tisch und im Haus war wohltuend zwanglos und ganz anders als bei seinem Onkel Hugo, wo er gelegentlich zum Sabbatmahl eingeladen war. Vielleicht lag es hier an der Gegenwart des kleinen Jonathan oder daran, dass Rabbi Small und seine Frau noch verhältnismäßig jung waren. Während dort die Feierlichkeit, mit der die Heiligkeit des Tages betont wurde, trotz Tante Bettys Versuchen, Fröhlichkeit zu verbreiten, bedrückend wirkte und den freudigen Aspekt gar nicht erst aufkommen ließ.
    Als sie danach Tee tranken, drehte sich das Gespräch um ihn und um sein Leben an der Universität. Roy, der sich jetzt restlos wohl fühlte, berichtete von seinen Schwierigkeiten. «Mein Hebräisch ist nicht so toll, und das macht die Sache wohl auch nicht gerade leichter. Aber hauptsächlich sind’s die israelischen Studenten. Das ist eine solche Cliquenwirtschaft. Und als Amerikaner ist man eben ausgeschlossen. Meine besten Freunde sind Araber.» Das kam trotzig, aber sein Vater nahm die Herausforderung nicht an.
    Stattdessen sagte er heiter und herzlich: «Na, ich finde das ausgezeichnet, Roy. Ich möchte, dass du alle Seiten kennen lernst.» Merkwürdigerweise war Roy dafür nicht dankbar. Er sah den Rabbi an, der kein Wort geäußert hatte.
    «Ich hab den Eindruck, der Rabbi ist nicht dieser Meinung», sagte er.
    Rabbi Small schüttelte bedächtig den Kopf. «Nein, ich glaube nicht. Wenn es

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