Am Montag flog der Rabbi ab
gut zu stellen. Du kennst doch die Tour: ‹Eine gute Frage› oder ‹Ein hoch interessantes Problem, das Stedman da angeschnitten hat›. Und er hat auch nicht von oben herab mit mir geredet. Wir haben von gleich zu gleich diskutiert.»
Sie waren an der Stelle angelangt, wo sich ihre Wege trennten. «Ehem, Roy … also mit dem Pass, da mach dir mal keine Sorgen. Vielleicht fahre ich morgen nach Tel Aviv.»
«Aber morgen ist doch Sabbat. Du musst dir ein Taxi nehmen. Das kostet ungefähr fünfzig Pfund.»
«Stimmt. Aber ich kann entweder ein Sheruth -Taxi nehmen oder mit dem Bus zurückfahren, und das kostet nur dreieinhalb Pfund.»
Als Roy nach Hause ging, wobei er bei jedem Motorengeräusch stehen blieb, um es mit Autostopp zu versuchen, dachte er noch einmal über die ganze Sache nach. Falls der Inspector annahm, er sei wirklich in den Mordfall verwickelt, wieso war er dann so freundlich zu ihm gewesen? Warum hatte er ihn nicht gründlich vernommen? Wenn andererseits das Verhör nur das war, als was es erschien, warum mussten sie dann seinen Pass so sorgfältig überprüfen? Vielleicht hatte sein Vater Recht, und sie hatten den Pass tatsächlich zurückbehalten? Aber weshalb konnten sie dann nicht einfach zum amerikanischen Konsulat in Jerusalem gehen und dort um Intervention bitten? Warum hielt sein Vater es für notwendig, sich an die Botschaft in Tel Aviv zu wenden? Und noch dazu am Sabbat? Es konnte nicht bloß den Grund haben, die Sache zu beschleunigen, damit sie die Schiffsreise machen konnten; denn vor Sonntag könnte die Botschaft auch nicht viel unternehmen, und bis dahin wäre es zu spät. Aber wieso hatte ihm sein Vater gesagt, er solle sich keine Sorgen machen? Wenn es wirklich keinen Anlass dafür gab, warum fuhr er dann nach Tel Aviv, und das am Sabbat? Und bestand doch ein Grund, weshalb sagte er es ihm nicht einfach? Hielt er ihn für ein Kind, dem man nicht die Wahrheit erzählen konnte? Jetzt begann Roy sich tatsächlich Sorgen zu machen.
35
«Die Sache ist in keiner Weise offiziell, Rabbi», sagte Marty Drexler. «Das möchten wir von vornherein klarstellen. Stimmt’s, Bert?»
Bert Raymond lächelte. «Genau. Die Idee stammt von Marty, und er hat mit mir darüber gesprochen. Und ich hab gesagt, wir sollten zuerst mal zu Ihnen gehen, bevor wir irgendwas unternehmen – Sie wissen schon, es den anderen mitteilen, gewissermaßen den Grundstock legen.»
Rabbi Deutch sah von einem zum anderen. Seine Finger trommelten auf die Sessellehne. «Das muss ich mir gründlich überlegen», sagte er schließlich mit seinem tiefen Bariton. Es war die Stimme, mit der er am Rednerpult sprach, etliche Tonlagen tiefer, als wenn er seiner Frau mitzuteilen pflegte, wie er seine Frühstückseier wünsche. «Ich habe meiner Gemeinde in Darlington dreißig Jahre lang treue Dienste geleistet. Es gab viele, die es gern gesehen hätten, wenn ich weitermachte, aber ich fand, ich brauchte die wohlverdiente Ruhe. Ich wollte wissenschaftlich arbeiten. Von der Tradition her ist ein Rabbi in erster Linie ein Gelehrter. Offen gestanden, einer meiner Beweggründe, nach Barnard’s Crossing zu kommen, war die Nähe zu den großen Bibliotheken in Boston und Cambridge. Und ich habe die Gelegenheit selbst in der kurzen Zeit, die ich hier bin, weidlich genutzt. Freilich hatte ich auch Freude an meiner Arbeit in der Gemeinde, und ich muss offen zugeben, dass sie die wissenschaftliche Forschung, mit der ich mich befasse, nicht ernstlich behindert hat. Wie es sich auf lange Sicht auswirken würde, ist eine andere Frage. Darüber müsste ich reiflich nachdenken.»
«Natürlich, Rabbi, das ist uns durchaus klar. Wir möchten ja auch keineswegs sofort eine Antwort von Ihnen», sagte Marty beflissen.
«Das ist nicht nur eine Frage meiner persönlichen Neigung», fuhr Rabbi Deutch fort, als sei er nicht unterbrochen worden. «Die Sache hat auch eine ethische und moralische Seite. Ursprünglich bin ich als Vertretung für Rabbi Small hergekommen …»
«Aber er hat Sie ja nicht ausgesucht», sagte Marty. Er fühlte sich zwar in Gegenwart von Rabbi Deutch stets ziemlich befangen, ganz im Gegensatz zu seiner Reaktion auf Rabbi Small, konnte sich jedoch nicht lange im Zaum halten. «Ich will damit sagen, es ist doch nicht, als ob er Sie gebeten hätte zu kommen und seine Stelle einzunehmen. Das hat der Vorstand gemacht. Seine Wahl ist nicht auf Sie gefallen, also können Sie ihm auch nichts schuldig sein.»
«Na ja …»
«Marty
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