Am Montag flog der Rabbi ab
Streit zwischen mir und meinen Nachbarn, den Rosens, gäbe, und einer meiner gerade angekommenen Gäste ergriffe deren Partei und gäbe ihnen den Vorzug, hätte ich nach meiner Auffassung sehr wohl das Recht, mich darüber zu ärgern.»
«Ich möchte Ihnen eins sagen, Rabbi. Es gibt eine Menge israelische Studenten, die mit den Arabern befreundet sind.»
«Freut mich zu hören.»
«Aber haben Sie nicht gerade gesagt …?»
Der Rabbi nickte. «Der Streit findet zwischen ihnen statt, und es ist gut, wenn der eine oder andere oder beide Kontrahenten Annäherungsversuche macht. Das gälte ebenso, wenn meine Frau die Initiative ergreifen und sich bemühen würde, sich mit Mrs. Rosen anzufreunden. Aber beim Gast liegt der Fall anders.»
«Der alte Hut – meine Seite, eure Seite. Genau dieses Freund-Feind-Denken hat doch zu den ganzen Kriegen und so weiter geführt.» Roy beugte sich vor. «Meine Generation … also wir denken nicht so. Uns ist es gleich, auf welcher Seite wir geboren wurden. Wichtig ist, auf welcher Seite das Recht liegt. Nehmen Sie doch unsere Einstellung, ich meine die Einstellung von Amerikanern meiner Generation zu Vietnam. Ihre Generation predigt uns, das ist der Feind, aber da spielen wir einfach nicht mit. Das Denken Ihrer Generation hat uns Kriege, Umweltverschmutzung, Hunger, Krankheit gebracht. Meine Generation wird das alles ändern.»
«Da hat er Recht, Rabbi», meinte Dan. «Ich glaube, wir haben die Karre in den Dreck gefahren, und sie versuchen nun, sie wieder rauszuziehen.»
«Nein.» Der Rabbi schüttelte heftig den Kopf. «Nicht unsere Generation ist schuld an all dem, was in der Welt nicht in Ordnung ist. Das haben alle Generationen der Menschheitsgeschichte zu verantworten. Dieselben Generationen, denen auch all die guten, positiven Dinge zu verdanken sind. Wir leben nun mal auf der Erde, nicht im Paradies. Und die ältere Generation sorgt auch für die Beseitigung der Missstände, einfach weil die junge noch nicht die erforderlichen Fähigkeiten erworben hat. Es dauert noch mindestens zwölf Jahre, Roy, bevor Ihre Generation Gelegenheit bekommt, sich daran zu versuchen. Und wenn es Ihre Generation ist, die nationale Grenzen überwindet, wieso sprechen Sie dann von der Cliquenwirtschaft unter den israelischen Studenten an der Universität? Sie gehören Ihrer Generation an. Und warum versuchen die Araber Ihrer Generation nicht, in diesem kleinen Teil der Welt Frieden zu schließen, statt die Zivilbevölkerung zu terrorisieren? Die meisten Terroristen stammen aus Ihrer Generation, das wissen Sie doch? Wenn Frieden wäre, könnten sie gegen Armut und Krankheit in ihren eigenen Ländern zu Felde ziehen …»
«Und wieso tun die Israelis das nicht in ihrem Land?»
«Tun sie es denn nicht?», fragte der Rabbi.
«Was ist denn mit den Sephardim, die in Slums hausen und keine Chance haben, ein anständiges Leben zu führen?»
«Die israelische Regierung versucht, ihnen zu helfen», bemerkte Dan Stedman.
«Na, sie könnten jedenfalls sehr viel mehr tun», entgegnete Roy und wandte sich wieder an den Rabbi.
«Jedes Land könnte sehr viel mehr für seine Benachteiligten tun, als es tatsächlich tut», sagte dieser milde. «Nennen Sie mir eins, das alles tut, was es kann.»
«Aber es soll doch angeblich eine Nation von Idealisten sein», protestierte Roy.
«Wirklich? Ich hoffe doch nicht.»
«Was sagen Sie da?» Roy war verblüfft. «Das ist aber ’ne merkwürdige Auffassung für einen Rabbi. Wollen Sie denn nicht, dass das Land idealistisch ist?»
«Nein, keinesfalls. Unsere Religion ist insgesamt eher auf praktische Ethik als auf absoluten Idealismus ausgerichtet. Tatsächlich besteht darin der Unterschied zwischen Judentum und Christentum. Wir verlangen nicht von unserem Volk, dass es übermenschlich ist, nur menschlich. Wie Hillel sagte: ‹Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.› Von der Tradition her waren wir stets der Meinung, dass parnosse , der Broterwerb, für ein gutes Leben notwendig ist. Wir kennen keine Tradition einer idealistischen Askese oder einer übermenschlichen Hingabe wie beim Mönchstum oder selbst auferlegter Armut.»
«Was ist denn falsch am Idealismus?», fragte Roy.
«Die Vergötterung einer Idee, und schließlich zählt die Idee mehr als die Menschen. Manchmal sind Menschen grausam, weil … nun, weil sie eben Menschen sind. Aber das reguliert sich sozusagen selbst. Denn wenn jemand normal ist, folgen auf seine
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