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Am Montag flog der Rabbi ab

Am Montag flog der Rabbi ab

Titel: Am Montag flog der Rabbi ab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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und Zuständigkeiten er hatte. Einen unmittelbaren Vorgesetzten besaß er nicht, doch eine punktierte Linie verband seinen Namen mit denen von Ranghöheren, was auf irgendeine Funktion auf dem Personalsektor hinwies. Mike Donahue stand nicht weit genug oben auf der Liste, dass er automatisch zu Botschaftspartys eingeladen wurde, aber auch nicht so weit unten, dass sein gelegentliches Erscheinen Aufmerksamkeit erregt hätte. Fraglos gehörte er nicht zu den weitgereisten, gut aussehenden, gut angezogenen jüngeren Männern mit dem besonderen Talent, sich bei den Frauen und Töchtern der Angehörigen des Diplomatischen Korps in Tel Aviv beliebt zu machen. Er war vielmehr ein untersetzter Mann in mittleren Jahren mit beginnender Glatze, rundem Gesicht und Boxernase. Für gewöhnlich trug er zerknitterte Leinenanzüge und einen verbeulten Panamahut. Die meisten Angestellten der Botschaft meinten, er habe etwas mit Öffentlichkeitsarbeit zu tun, da er zahlreiche Bekannte unter den Journalisten besaß, und trotzdem wurde er nicht unter der Presseabteilung aufgeführt. Die Eingeweihteren mutmaßten, er gehöre entweder dem CIA an oder sei dessen Verbindungsmann zum Botschafter.
    Als Dan Stedman nach Tel Aviv kam, wandte er sich an seinen alten Freund Mike Donahue um Hilfe. «Sie haben Roys Pass einbehalten und wollten ihm weismachen, sie hätten ihn verlegt und würden ihn mit der Post zurückschicken.»
    «Und das hat er geglaubt?»
    «Er ist ja noch ein halbes Kind, Mike. Der Mann bei der Polizei, der Inspector, der ihn verhört hat, ist die ganze Zeit sehr freundlich gewesen – nichts von harter Tour oder so –, wieso sollte er ihm nicht glauben?»
    «Aber so lange …»
    «Na, du weißt doch, wie das ist. Du kriegst ihn nicht am nächsten Tag, also denkst du, es hat bei der Post nicht geklappt. Am übernächsten wirst du ein bisschen besorgt, beschließt aber, noch einen weiteren Tag zu warten. Und als dann wieder nichts kam, hat er nachgefragt, und kein Mensch dort schien zu wissen, wovon er eigentlich sprach, und der Inspector, mit dem er zu tun gehabt hatte, war nicht im Haus. Wäre nicht die Sache mit der kleinen Schiffsreise gewesen, hätte er wahrscheinlich noch ein paar Tage oder sogar ’ne Woche abgewartet, bis er’s mir erzählt hätte.»
    «Die Polizei verliert keine Pässe», sagte Donahue kategorisch.
    «Genau meine Meinung. Die ganze Geschichte kommt mir nicht koscher vor.»
    «Offensichtlich nicht. So pflegt die Polizei nicht vorzugehen – nicht gegenüber einem amerikanischen Staatsbürger, der noch dazu an der Universität studiert und dessen Vater zu allem Überfluss für die Massenmedien arbeitet. Nein, das ist eindeutig Shin Bet . Die Polizei amtiert hier stellvertretend für den Geheimdienst.»
    «Und was tu ich nun?», fragte Stedman. «Mit offenen Karten spielen und den Leuten die Hölle heiß machen? Oder zum amerikanischen Konsulat in Jerusalem gehen und von denen offiziell nachfragen lassen? Oder soll ich sie bitten, ihm einen neuen Pass auszustellen?»
    Donahue schüttelte den Kopf. «Das würde ich nicht tun. Denn wenn Shin Bet dahintersteckt, und die nicht wollen, dass dein Sohn vorerst das Land verlässt, dann sorgen sie auch dafür, dass er hier bleibt, und wenn sie ihn in ein Krankenhaus stecken.»
    Dan war empört. «Mach’s mal halb lang, Mike, das ist doch eine Demokratie mit Gesetzen, Vorschriften …»
    «Jetzt bleib du lieber auf dem Teppich. Du bist doch weit genug rumgekommen, um es besser zu wissen. Welches Land, egal, ob demokratisch oder nicht, kann die Einzelaktionen seines Geheimdienstes kontrollieren? Wenn der Shin Bet deinen Jungen ein paar Tage greifbar haben will, könnte sich sogar Golda persönlich einschalten – glaubst du etwa, das würde einen opportunen Autounfall verhindern? Sie würden erklären, es geschehe für die Sicherheit des Staates, und Golda habe die Zusammenhänge nicht gekannt. Der Agent würde keinen Schritt von seiner Linie abweichen, bevor er nicht Anweisung von seinem Chef bekommt.»
    «Was tue ich also in einer solchen Sache?»
    «Das hängt davon ab, was es für eine Sache ist.»
    «Was soll das heißen?»
    «Das will ich dir erklären, Dan. In Jerusalem hat ein Sprengstoffanschlag der Terroristen stattgefunden, und dein Junge war dort – in einer ruhigen, verlassenen Straße, wohin normalerweise kein Mensch seinen Abendspaziergang macht, wohlgemerkt. Oder anders ausgedrückt: Er war in einer Gegend, wo er normalerweise nichts zu suchen

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