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Am Rande Der Schatten

Titel: Am Rande Der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
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Es war ihnen nicht gestattet worden zu schlafen, stattdessen hatten sie die Nächte damit verbracht, die Rüstungen und Waffen Höhergestellter zu polieren. Heute würden sie ihre Schuld sühnen, und während des nächsten Jahres würden sie erpicht darauf sein, ihre Heldenhaftigkeit zu beweisen. Als er sich zusammen mit Neph der ersten Gruppe näherte, zog er die Vir aus seinen Händen zurück. Wenn die Männer ihre Strohhalme zogen, durften sie es nicht für das Wirken von Magie halten oder für das Wohlwollen des Gottkönigs, das den einen verschonte und den anderen verdammte. Stattdessen war es schlichtes Schicksal, die unausweichliche Konsequenz ihrer eigenen Feigheit.

    Garoth hob die Hände, und alle Khalidori beteten einstimmig: »Khali vas, Khalivos ras en me, Khali mevirtu rapt, recu virtum defite.«
    Während die Worte verklangen, trat der erste Soldat vor. Er war noch keine sechzehn und auf seiner Lippe nur der Hauch eines Schnurrbarts. Er schien am Rand eines Zusammenbruchs zu stehen, während sein Blick von dem eisigen Gesicht des Gottkönigs zu den Strohhalmen flackerte. Auf seiner nackten Brust leuchtete Schweiß im heller werdenden Licht des Morgens, und seine Muskeln zuckten. Er zog einen Strohhalm. Er war lang.
    Die Hälfte der Anspannung wich aus seinem Körper, aber nur die Hälfte. Der junge Mann neben ihm, der ihm so ähnlich sah, dass es sich um seinen älteren Bruder handeln musste, befeuchtete sich die Lippen und griff nach einem Strohhalm. Er war kurz.
    Die fast Übelkeit erregende Erleichterung des Rests der Gruppe war mit Händen greifbar, und die vielen tausend Zuschauer, die den kurzen Strohhalm unmöglich sehen konnten, wussten aufgrund dieser Reaktion, dass er gezogen worden war. Der Mann, der den kurzen Strohhalm in der Hand hielt, sah seinen kleinen Bruder an. Der jüngere Mann schaute ihm nicht ins Gesicht. Der Verurteilte richtete einen ungläubigen Blick auf den Gottkönig und reichte ihm den kurzen Strohhalm.
    Garoth trat zurück. »Khali hat gesprochen«, erklärte er. Die Menge sog beinahe gleichzeitig die Luft ein, und er nickte der Gruppe zu.
    Sie schlossen sich um den jungen Mann, jeder Einzelne von ihnen - selbst sein Bruder -, und begannen auf ihn einzuschlagen.

    Es wäre schneller gegangen, hätte Garoth der Gruppe gestattet, Panzerhandschuhe zu tragen oder das stumpfe Ende von Speeren oder die Flachseite von Klingen zu benutzen, aber er hielt es für besser so. Wenn das Blut zu fließen begann und aus dem Fleisch spritzte, während auf den Verurteilten eingedroschen wurde, sollte es nicht von der Kleidung der übrigen Männer abgefangen werden. Sie sollten es auf der Haut spüren. Sie sollten die Wärme des Blutes dieses Jungen spüren, während er starb. Sie sollten den Preis für Feigheit erfahren. Khalidori flohen nicht.
    Die Gruppe griff mit beträchtlichem Elan an. Der Kreis schloss sich, und Schreie wurden laut. Es hatte etwas Intimes, wie nacktes Fleisch auf nacktes Fleisch drosch. Der junge Mann verschwand, und alles, was noch zu sehen war, waren Ellbogen, die sich erhoben und mit jedem Hieb verschwanden, und Füße, die zu neuen Tritten zurückgezogen wurden. Und Augenblicke später Blut. Mit dem kurzen Strohhalm war der junge Mann zu ihrer Schwäche geworden. Es war Khalis Erlass. Er war nicht länger Bruder oder Freund, er war alles, was sie falsch gemacht hatten.
    Binnen zwei Minuten war der junge Mann tot.
    Die Gruppe formierte sich neu, blutbespritzt und schwer atmend vor Anstrengung und Erregung. Sie betrachteten den Leichnam zu ihren Füßen nicht. Garoth musterte sie der Reihe nach, schaute jedem Einzelnen von ihnen in die Augen und ließ seinen Blick auf dem Bruder verweilen. Dann trat er vor den Leichnam und streckte eine Hand aus. Die Vir lugten aus seinem Handgelenk hervor und dehnten sich aus, krallenartig und zerklüftet, und umfassten den Kopf des Leichnams. Dann zuckten die Krallen, und der Kopf knackte, ein Geräusch, das Dutzenden von Cenariern Brechreiz verursachte.

    »Euer Opfer ist akzeptiert worden. Dadurch seid ihr gereinigt«, verkündete er und salutierte ihnen.
    Sie erwiderten seinen Salut voller Stolz und nahmen ihre Plätze im hinteren Teil der Formation auf dem Innenhof ein, während der Leichnam weggeschleift wurde.
    Er deutete auf die nächste Gruppe. Die nächsten vierzehn Wiederholungen würden nichts Neues bringen. Obwohl jede einzelne Gruppe noch immer voller Anspannung war - selbst diejenigen, die fertig waren, würden

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