Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Rande wohnen die Wilden

Am Rande wohnen die Wilden

Titel: Am Rande wohnen die Wilden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
Vom Netzwerk:
blickte auf den Bildschirm, den das Gesicht Schesternjows fast ganz ausfüllte. Heftig schüttelte er den Kopf. »Mag er effektiver sein!« brummte er. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß unsere Nachkommen auf einem sterilen Planeten leben sollen. Ich kann es mir nicht vorstellen.«
    Es war gut, seine entschiedene Ablehnung zu hören, aber soweit sie es beurteilen konnte, gründete sie sich ausschließlich auf Emotionen, und das war ungewöhnlich für Schesternjow. So schüttelte sie nur den Kopf. Auch ein Morne würde es sich kaum vorstellen können, auf einem Planeten, wie es die Erde war, leben zu müssen, auf einem Planeten, der für seinen Geschmack wild und ungebärdig war, ebenso unzivilisiert wie gefährlich.
    »Die inneren Einstellungen und die Beziehungen zu den Dingen verändern sich mit den äußeren Gegebenheiten«, erklärte sie. »Noch vor wenigen Jahren lehnte der größte Teil der Eltern eine Gemeinschaftserziehung ihrer Kinder ab, noch vor wenigen Jahrzehnten machte sich jeder, der nackt am Strand lag, der Erregung öffentlichen Ärgernisses schuldig. Was ist schon das Maß der Dinge, Romuald? Doch letzten Endes nur der Mensch.«
    Sie kam sich altklug und abgeklärt vor, als Schesternjow resigniert die Schultern hob.
    »Mag sein, daß Sie recht haben«, murmelte er. »Natürlich ändert sich die Einstellung der Menschen mit der Zeit. Natürlich kann man sich an gewisse Umweltbedingungen anpassen, aber eine Welt ohne die Spur des natürlichen Lebensbereiches? Nein, Karin, damit kann ich mich nicht abfinden.«
    Sie hatte das Gefühl, ihm helfen zu müssen, und bemühte sich um ein Lächeln. »Bitte verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte sie. »Ich teile Ihre Aversion gegen eine sterile Welt völlig, aber ich möchte herausfinden, ob wir vielleicht nur altmodisch auf die Konfrontation mit dem Neuen reagieren. Denn wenn der Weg der Mornen auch der unsere wäre, dann hätten wir die Pflicht, die Menschheit auf diesen Weg vorzubereiten.« 
    Sie sah sich wieder im großen Saal des Regionalstes in Frisco, sah die dichtgedrängte, bunte Menschenmenge. Wissenschaftler der verschiedensten Zweige füllten den riesigen Saal, in den die warme Sonne des Südens hereinflutete.
    Vorn auf dem Podium die schlanken gelben Gestalten der Mornen mit ihren kaum sichtbaren Schutzmasken. Eine Delegation der Gäste, die die Aufgabe hatte, einen Teil der irdischen Wissenschaftler mit dem Leben im System Morn zumindest in groben Zügen vertraut zu machen, gewissermaßen die Grundlage zu schaffen für das erst langsam wachsende Verständnis ihrer Sitten und Gebräuche. Ihnen zur Seite hatten einige der Betreuer und die Mitarbeiter der Räte gestanden. Auch Lester Sullivan war unter ihnen gewesen.
    Sie hatte die plastischen Filme wie in einem Traum erlebt, und sie war geneigt, diesen Traum für einen Alptraum zu halten.
    Die Mornen hatten ihnen eine Welt vorgeführt, von der sie zuerst nicht hatte glauben wollen, daß sie existieren könne. Eine Welt ohne Natur, klar gegliedert und sauber bis zur Sterilität, menschenähnliche Wesen, die sich mit Hilfe des bloßen Gedankens zu verständigen in der Lage waren, ohne den Umweg über die Sprache. Ein eben gedachter Begriff, ein Gedanke konnte sofort an den Partner abgestrahlt werden.
    Sie hatte sich überlegt, wie viele Gedanken sie dachte, die für niemand anderen als nur für sie bestimmt waren, und sie konnte sich nicht vorstellen, daß es anders sein sollte.
    Wie wahrhaftig mußten Wesen sein, wie sauber die Gedanken von Intelligenzen, denen bereits ihr Kommunikationsmittel jede Lüge unmöglich machte?
    Und doch führten die Mornen ein Leben, für das sie ihr Dasein auf der Erde nie eingetauscht hätten. Pflanzen und Blumen wurden ersetzt durch schimmernde Kristallkaskaden, die unter einem feinen Schleier sprudelnden Wassers in allen Farben leuchteten, und der lebende Boden war ersetzt worden durch eine glatte betonähnliche Schicht, die jede Vegetation verhinderte.
    An dem Begriff »Ersatz«, den sie auch im Gespräch mit den Mornen verwendet hatte, stießen sich diese Wesen sofort und versuchten ihr zu erklären, daß ihre Planeten so und nicht anders optimal gestaltet seien, aber ihr würde es wohl immer schwerfallen, eine solche Einstellung zu begreifen. Vielleicht gehörte dazu einfach der Jahrtausende währende Reifeprozeß, den diese Wesen hinter sich hatten.
    Sie sah Schesternjow auf dem Bildschirm an, wußte, daß auch er sich eine derartige Welt für die Menschen

Weitere Kostenlose Bücher