Am Rande wohnen die Wilden
erwartet, obwohl man sich daran gewöhnen mußte, daß Schesternjow keine Umwege liebte. Es war auch selbstverständlich, daß sie sich irgendwann über die Mornen und deren Zivilisation unterhalten mußten. Und wer anders als die Regionalräte sollten die Modalitäten der Begegnung mit diesen Wesen festlegen, die so verschieden von den Menschen waren?
Sicher war, daß sich viele Wissenschaftler bereits Gedanken machten, wie dem Fremden, das da plötzlich unter ihnen aufgetaucht war, zu begegnen sei, wie man sich den Mornen gegenüber zu verhalten habe. Es war die Aufgabe der Räte, ihnen ihre Entschlüsse zu erleichtern, ihre Gedanken und Meinungen zu koordinieren und ein Programm zu erarbeiten, das Zwischenfälle vermied und damit sicherte, daß für beide Teile ein Optimum des Verstehens und der freundschaftlichen Zusammenarbeit erreicht werden konnte. Das war bei der Verschiedenheit der beiden Zivilisationen keine einfache Angelegenheit.
»Wie meinen Sie das, Romuald?« Sie versuchte Zeit zu gewinnen. Es fiel ihr nicht leicht, all das, was sie in den letzten Tagen gedacht hatte, in wenige Worte zu kleiden. Außerdem schien ihr die ganze Angelegenheit zu vielschichtig und zu einmalig, um sie hier am Videokom zu diskutieren. Aber wahrscheinlich war das auch gar nicht Schesternjows Absicht. »Wollen Sie meine Meinung über die Mornen als Einzelwesen oder über das, was ich von ihrer Kultur bisher erfahren habe, hören?«
»Kann man beides voneinander trennen, Karin? Sind das nicht zwei Seiten einer Sache?«
Sie stimmte ihm zu. »Natürlich sind das zwei Seiten einer Sache. Wir haben die Mornen kennengelernt als Wesen, die sich auf den ersten Blick ähnlich verhalten wie wir. Bestimmt haben sie genauso ihre Probleme und Schwierigkeiten wie wir. Nur, daß sie auf einer weit höheren Entwicklungsstufe stehen. Und dadurch sind auch ihre Pro.«
»Halt, halt!« unterbrach er sie und streckte die Hände abwehrend aus. »Sie sagen einfach >weit höhere Entwicklungsstufe^ sollten wir nicht vielleicht von einer >anderen Entwicklungsstufe< sprechen?«
Sie schüttelte den Kopf. Wie oft schon hatte sie sich diese Gedanken gemacht, wie oft schon hatte sie versucht, die Theorie, die die Mornen vertraten, als unglaubhaft hinzustellen. Es war ihr nicht gelungen. Wie sollte das auch möglich sein? Der Mensch kannte bisher keine andere außerirdische Intelligenz, und die Mornen behaupteten, daß die Evolution im gesamten Kosmos auf einer ähnlichen Bahn ablaufe, daß jede Intelligenz den im Grunde gleichen Weg zurücklege wie die Mornen. »Nein, Romuald«, sagte sie. »Nach einer Theorie der Mornen gibt es keine andere Evolution, sondern nur verschiedene Stationen einer Evolution, der die Entwicklung aller Intelligenzen gehorcht.«
Sie blickte auf Schesternjow, der ihre Eröffnung mit Gelassenheit zur Kenntnis nahm. Dann schüttelte er lächelnd den Kopf. »Das klingt nach einer höheren Form fatalistischer Gleichmacherei.«
»Ich weiß nicht.« Sie versuchte ihre Gedanken zu ordnen, aber es wollte ihr nicht gelingen. »Wir müssen bedenken, daß sie eine ungleich längere Evolution hinter sich haben als die Menschheit. Sie stehen der Erkenntnis allen Seins ein gutes Stück näher als wir.«
Schesternjow kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Und wenn es gerade die Menschheit wäre, die ihre Theorie zu Fall brächte?« murmelte er.
Sie sann seinen Worten nach. »Es wäre schön, wenn Sie recht hätten, Romuald«, sagte sie dann. »Wenn es das Gesetz, daß die Evolution aller Intelligenzen einem gemeinsamen Schema gehorcht, wirklich gibt, dann würde die Menschheit eines Tages unter den gleichen Bedingungen wie die Mornen leben.« Einen Augenblick lang schwieg sie, um dann zu vollenden: ». müssen.« Sie beobachtete Schesternjow genau, und sie sah, daß plötzlich ein Lächeln in seinen Augenwinkeln saß. »Das ist es!« sagte er. »Das ist es, was mir keine Ruhe mehr läßt. Ich kann an dieses Gesetz nicht glauben. Es muß einen anderen, einen für die Menschheit spezifischeren Evolutionsweg geben.«
Er hatte sich aufgerichtet und blickte an ihr vorbei, als sähe er diesen Weg bereits vor sich. Jetzt war sein Gesicht ernst und gesammelt. »Und die Menschheit wird diesen Weg finden«, erklärte er. »Sie ist naturverhafteter als die Mornen, sie ist ein Teil der Natur geblieben.«
»Noch ist sie es, Romuald. Aber wird sie es immer bleiben? Ist der Weg, den die Mornen gegangen sind, nicht effektiver?« Sie
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