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Am Rande wohnen die Wilden

Am Rande wohnen die Wilden

Titel: Am Rande wohnen die Wilden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
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dazu gefunden. Vielleicht war es sogar besser so, denn fast hatte sie den Eindruck, ein Tabu berührt zu haben.
    Für diese Vermutung sprach auch die Tatsache, daß die Ehe — wenigstens in der Form, wie sie auf der Erde üblich war — den Mornen unbekannt zu sein schien. Grundlagen und Sinn des Zusammenlebens zweier Menschen mußten umständlich erläutert werden, ehe die kybernetischen Dolmetscher überhaupt eine Ubersetzung zustande brachten. Und dann schien sie noch sinnentstellend zu sein, denn die Mornen lehnten die Ehe rundweg ab, weil sie befürchteten, die Ehepartner könnten sich von der übrigen Gesellschaft ausschließen. Offenbar hatten sie völlig falsche Vorstellungen, oder es gab auf Morn nichts, das einer Ehe vergleichbar gewesen wäre, auch wenn das unwahrscheinlich war, da die junge Biologin von einem Gefährten gesprochen hatte, der einer Mornin so lange zur Seite stehen könne, wie sie sich etwas zu geben hatten. Und niemand könne sie oder ihn zwingen, dieses gegenseitige Geben und Nehmen länger auszudehnen, als es ihnen notwendig erscheine, auch kein Gesetz und keine Gesamtabstimmung. Es gäbe keinen Zwang auf Morn.
    Karin hatte es aufgegeben. Sie wußte, daß sie mißverstanden worden war, und sie hoffte, diesen Punkt irgendwann einmal klären zu können. Jetzt aber richtete sie sich vor dem Bildschirm auf und blickte Schesternjow unsicher an, der geduldig auf eine Fortsetzung des Gesprächs gewartet hatte.
    »Ich glaube nicht, daß der Weg der Mornen auch der unsere ist«, sagte sie.
    Schesternjow nickte langsam und nachdenklich. »Sie haben recht, Karin«, bestätigte er. »Es muß einen anderen Weg geben, unseren Weg. Und auch bei ihnen scheint es Strömungen zu geben, die zu natürlicher Lebensweise tendieren. Denken Sie nur an die Biologin, die von Ausfallerscheinungen sprach, die sie der Technisierung zuschreiben wollte. Oder an Bojan, der sich in den seltensten Fällen seines Schwebegürtels bedient. Ich glaube, daß er einer der stärksten unter ihnen ist. Zumindest sieht er für menschliche Begriffe so aus«, schränkte er sofort ein, »und eigentlich sollte es doch als günstiges Zeichen zu werten sein, daß ausgerechnet diese beiden Mornen für die Kommunikation mit uns Erdenbürger verantwortlich sind.«
    Schesternjow hielt den Kopf schief und lächelte ihr vom Schirm herab zu. Sie dachte angestrengt nach.
    Natürlich konnte er recht haben, mit größter Wahrscheinlichkeit war anzunehmen, daß er recht hatte, aber es gab auch noch andere Erklärungen für die Tatsache, daß Bojan und die junge Biologin, deren Namen sie nicht mehr wußte, ausgewählt worden waren.
    »Wie hieß diese Biologin?« fragte sie, noch ganz in ihre Gedanken vertieft, und war erstaunt, als Schesternjow sofort antwortete: »Birrha, glaube ich!«
    Er rollte das R, so gut er konnte, aber es klang immer noch anders als durch die Translater ausgesprochen. Es war erstaunlich, über welch ausgezeichnetes Gedächtnis Schesternjow verfügte. Er hatte den Namen sofort gewußt, obwohl er ihn nur aus den Berichten und aus den ihm vorgespielten Bändern kannte. Karin kam zum Bewußtsein, wie intensiv sich der Vorsitzende mit dem Material beschäftigt haben mußte.
    »Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Romuald«, führte sie ihre Gedanken zu Ende. »Teilen Sie mich der Gruppe um Bojan zu. Vielleicht kann ich als Betreuerin mehr über die Lebensweise und die Emotionen der Mornen erfahren, als es uns sonst möglich wäre. Es gibt noch eine Unmenge von Problemen, die einer Lösung harren.«
    »Einverstanden!« sagte Schesternjow und blinzelte ihr zu. Einen Augenblick schwieg er, holte tief Luft und blickte sie lange an. »Stellen Sie sich eine Synthese aus ihrer und unserer Welt, aus ihrem und unserem Lebensstil vor, Karin. Wäre das kein lohnendes Ziel?«
    Als er sich ausgeblendet hatte, sah sie immer noch die fragend hochgezogenen buschigen Augenbrauen, und es kam ihr vor, als habe sie soeben einen Auftrag erhalten, der für die ganze Menschheit von außerordentlicher Wichtigkeit war.
    Eine Synthese aus der Welt der Mornen und der der Menschen. War das überhaupt möglich? Waren die Menschen bereits so weit in ihrer psychischen Evolution, daß sie einen ähnlichen Lebensstil wie den der Mornen verkraften konnten? Würde der Mangel an körperlicher Arbeit nicht zu Erscheinungen führen, wie sie vor gar nicht allzu langer Zeit bereits in einigen Berufszweigen zu verzeichnen waren? Bei den Mornen hatte die Herausbildung

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