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Am Rande wohnen die Wilden

Am Rande wohnen die Wilden

Titel: Am Rande wohnen die Wilden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
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der Erde nicht vorstellen konnte, und fühlte, wie ein wenig von ihrer Bedrücktheit verschwand.
    Nur einer war unter den Mornen gewesen, der ihre Welt nicht mit einem fast an Besessenheit grenzenden Engagement verteidigt hatte, als die Wissenschaftler der Erde ihre Zweifel an der Richtigkeit des mornischen Lebensweges äußerten — Bojan. Er war der einzige, der hin und wieder Zugeständnisse an die Meinung der Menschen machte.
    Bojan war einer der ersten gewesen, die sie näher kennengelernt hatte. Sehr groß und sehr schlank, mit dem üblichen unbewegten Gesicht hatte er sich die Argumente angehört und geduldig versucht, sie zu widerlegen, ohne sich dabei zu ereifern. Er war es auch, der den Menschen ihre Namen, die die Translater nicht übersetzen konnten, beizubringen versuchte. Und er hatte auch die Filme vorgeführt und kommentiert.
    Bojan war der Pilot des Landefahrzeugs und schien eine Art Sonderstellung einzunehmen. Seine Bewegungen erschienen ihr schneller und spontaner als die gleitenden und kraftsparenden Gesten seiner Freunde, auch wenn es schwerfiel, ihn mit einem Menschen vergleichen zu wollen.
    Er war der einzige Morne, der nicht die Reserviertheit an den Tag legte, an die sie sich nur schwer gewöhnen konnte und die ihrer Meinung nach nichts anderes war als Vorsicht bei der Begegnung mit dem Ungewöhnlichen, dem nicht Vorhersehbaren, mit dem sie auf der Erde immer wieder konfrontiert wurden.
    Es schien ständig, als hielten die Mornen unter allen Umständen auf körperliche Distanz. Gewiß schienen sie keinerlei Geheimnisse zu haben, aber Bojan war der einzige, der bei einer unabsichtlichen Berührung nicht zusammenzuckte.
    Karin hatte ihn in den vergangenen Tagen genau beobachtet, und sie hatte festgestellt, daß er in den wenigsten Fällen sein Schwebegerät benutzte. Er schien kurze Strecken nicht ungern zu laufen, auch wenn seine Art zu gehen etwas Gebeugtes an sich hatte, so, als litte er unter der Schwerkraft der Erde. Nicht, daß die Mornen, wenn sie ihre Füße benutzten, sich geduckt oder kraftlos bewegten, nein, sie gingen aufrecht, sogar sehr aufrecht, aber eben wie Leute, die sich zwingen müssen, aufrecht zu gehen.
    Zuerst hatte sie gelächelt, als sie erfuhr, daß ihn die anderen Mornen für urwüchsig hielten, aber das war ihr verständlich geworden, nachdem sie die wahre Mentalität dieser Wesen kennengelernt hatte.
    Aber auch diese Mentalität erklärte nicht, weshalb derart hochintelligente Wesen ein solch steriles Leben für ein erstrebenswertes Ziel, ja für die einzige Möglichkeit des Lebens überhaupt halten konnten.
    Zwar hatte Bojan angedeutet, daß auf einigen Planeten des Systems Morn noch Reste der ehemals umfangreichen Tier- und Pflanzenwelt vorhanden waren, aber er hatte darüber gesprochen wie über einen riesigen Zoo, der hin und wieder mit Hilfe hermetisch verschlossener Kabinen durch Wissenschaftler inspiziert wurde. Dabei schien kaum eine Nachfrage nach derartigen Besuchen zu bestehen. Sie hörte aus seinen Worten heraus, daß die Mornen die Effektivität gleichzeitiger Existenz von Tieren oder Pflanzen und höchstentwickeltem intelligentem Leben in Abrede stellten. Sie drückten es zwar nicht so direkt aus, aber es war klar, daß sie diese ihre Einstellung auch angesichts der Erde und ihrer Bewohner nicht zu revidieren gedachten. Karin war es häufig begegnet, daß einige Mornen völlig unbewußt anstelle des Wortes »Menschen« den Terminus »Wilde« gebrauchten. Zuerst war sie schockiert darüber, aber wieder war es Bojan, der ihr erklärt hatte, daß man die Bewohner des Planeten Erde zum Zeitpunkt der ersten Entdeckung tatsächlich für Wilde gehalten habe. Auch heute noch sei es schwer für einige von ihnen, sich vorzustellen, daß eine hochentwickelte Intelligenz mit Pflanzen und Tieren zusammenleben könne. Erst langsam begännen sie sich an den Gedanken zu gewöhnen, daß die Bedingungen auf der Erde für die Menschen keine Zwangslage, sondern die normale Ökosphäre seien. Auch ihm falle es schwer, bei der Konfrontation mit der Umwelt der Menschen nicht ständig Vergleiche mit der Umwelt der Mornen anzustellen, die in seinen Augen zwangsläufig zuungunsten der Erde ausfallen müßten. 
    Karin hatte ihm erläutert, daß es den Menschen genau so unmöglich erscheine, ein Leben ohne natürliches Hinterland führen zu müssen, ohne lebenden Boden, sondern mit einer Schicht unter den Füßen, die der leichteren Säuberung eines ganzen Planeten

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