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Am Rande wohnen die Wilden

Am Rande wohnen die Wilden

Titel: Am Rande wohnen die Wilden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
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hinter sich. Er verteidigte sich nicht ausschließlich, sondern griff mehrmals an, zaghaft zuerst, doch dann beherzter. Gerade als er hoffte, diese Runde offen gestalten zu können, lief er in einen Linken hinein, der den Kampf durchaus hätte entscheiden können. Erst im letzten Augenblick konnte er den Kopf ein wenig zur Seite drehen, so daß der Schlag nicht auf dem Kinnwinkel, sondern auf der Kopfseite landete. Die Wucht des Hiebes aber warf ihn um. Diesmal machte er nicht den Fehler, sofort wieder aufspringen zu wollen. Er ließ das kleine Einmaleins über sich ergehen und ruhte sich auf dem rechten Knie aus. Dabei horchte er in sich hinein und stellte mit leisem Schrecken fest, daß er keine Lust zum Aufstehen hatte. Er spürte zwar keine Schmerzen, fühlte aber, daß seine Beine wie Wachs waren. Hoffentlich würde er ruhig stehen können. Wenn er schaukelte, würde der Ringrichter den Kampf möglicherweise abbrechen. Bei acht kam der Gong. Die Zeitungen würden schreiben, daß ihn der Gong gerettet habe. Er stand auf, fühlte sich staksig und unsicher und bemühte sich, gerade in seine Ecke zu marschieren. Langsam drehten sich die Seile um ihn. Irgendwo links von ihm ertönte ein Zischen. Er blieb stehen und stellte fest, daß er dabei war, in die neutrale Ecke zu laufen. Seine Ecke war links. Die Sekundanten halfen ihm, sich zu setzen. Rod blickte ins Publikum. Die Zuschauer waren nur verschwommen sichtbar. 
    Immer noch verschwommen, dachte er, und er versuchte, Gesichter zu erkennen, aber als es ihm endlich gelang, grinsten sie ihn wie Fratzen an.
    Dann sah er plötzlich Betty, Karin Bachfeld und die Mornen. Es schien ihm, als starrten sie zu Jenkins' Ecke hinüber. Er sah, daß dessen Betreuer fieberhaft arbeiteten, nicht anders als seine eigenen, die ihm immer wieder die Leber massierten.
    Als der Gong zur fünften Runde ertönte, fühlte sich Rod erstaunlich frisch. Er wich den Angriffen des Meisters aus und ließ ihn häufig leer laufen. Dann jedoch nagelte ihn Jenkins am Seil fest. Rod ging in Doppeldeckung und krümmte sich in Erwartung eines Leberhakens zusammen, spannte die Muskulatur über dem Magen bis zum Zerreißen an, um den Solarplexus, das empfindliche Nervenzellgeflecht, zu schützen. Aber der Schlag kam nicht. Rod nahm langsam die Fäuste herunter. Er erkannte, daß Jenkins einen Augenblick lang unaufmerksam war, er wußte nichts mit dem in Doppeldeckung stehenden Gegner anzufangen. Rod überlegte nicht, er nutzte die Gelegenheit kaltblütig. Die Rechte zog unmittelbar zwischen dem dunklen und dem hellen Körper nach oben. Sie zuckte nicht, sie glitt unter das Kinn des Meisters und riß dessen Kopf in den Nacken. Als Rod sich von den Seilen löste, waren gut zwei Meter Raum zwischen ihm und seinem Gegner, und er sah, daß der Ringrichter versuchte, Jenkins von unten in die Augen zu blicken. Sein Schlag hatte also getroffen. Jenkins taumelte. Wenig zwar, aber immerhin stand der Muskelberg unsicher. Rod tat einen schnellen Schritt nach vorn, aber sein zweiter Schlag blieb unterwegs stecken, Jenkins war ihm entgegengekommen und legte sich schwer auf ihn. Dabei trafen seine Infightschläge schmerzhaft die Körperseiten Rods. Aber es steckte schon nicht mehr die gewohnte Kraft hinter diesen auf der viel zu kurzen Innenbahn geschlagenen Haken. Die fünfte Runde war fraglos ausgeglichen.
    Als Rod in der Pause zu seinem Gegner hinübersah, bemerkte er, daß Jenkins in die Halle starrte. Der Ringrichter hob einen Mundschutz vom Ringbelag auf, und Rod fuhr mit der Hand unwillkürlich zu seinen Zähnen. Befriedigt stellte er fest, daß die Kautschukplatte nach wie vor fest im Mund saß. Also hatte Jenkins seinen Mundschutz ausgespuckt. Das war ein gutes Zeichen. Noch besser war aber, daß der Meister es jetzt offensichtlich ablehnte, den durch seinen Sekundanten sauber abgespülten Schutz wieder zwischen die Zähne zu klemmen. Zwei-, dreimal schob er die Hand zur Seite, ehe er widerwillig die Zähne auseinandernahm.
    Die sechste Runde brachte Rod an den Rand der Verzweiflung. Er wußte genau, daß er nach Punkten erheblich zurücklag, daß er etwas tun mußte, was sich auf den Punktzetteln niederschlug, aber der Meister ließ ihn nicht zur Entfaltung kommen. Jenkins wandte alle Tricks an, die er im Verlaufe seiner Boxkarriere gelernt hatte. Er klammerte, legte sich auf den Gegner, hielt Rods Hände fest und schlug mit der freien Linken. Er drückte Rod den Handschuh auf den Mund oder schob ihn mit

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