Am Rande wohnen die Wilden
Der Boden war festgetreten von den nackten Füßen der Indianer, die seit vielen Jahren diesen Pfad gegangen waren. Und doch schien sich der Dschungel nur schwer mit diesem Weg abzufinden. Überall hingen schlanke Lianen über der Schneise, reckten Büsche ihre in wenigen Stunden hervorschießenden Triebe mit messerscharfen Dornen über den Weg.
Rod war vorsichtig. Hin und wieder machte er, zuerst noch ein wenig ungelenk, doch bald sicherer, von einer schweren gebogenen Machete Gebrauch, um zu verhindern, daß die Nachfolgenden sich Verletzungen zuzogen. Immer wieder schwang er die schwere Klinge, die, einmal gehoben, mit nur noch geringem Kraftaufwand selbst armstarke Äste zerschlug.
Sie gingen langsam, und das ließ ihm Zeit, auf die erstaunten Ausrufe der Mornen zu achten, die der Translater übersetzte.
Er lächelte, wenn sie vor einem hastig über den Weg huschenden Käfer erstarrten, wenn sie zusammenzuckten, weil einer der vielen kleinen Baumleguane aus dem Dickicht tauchte, bevor er schnell an einem der Bäume hochlief, ängstlich darauf bedacht, die den Menschen abgewandte Seite zu benutzen. Er deutete absichtlich auf handgroße Baumspinnen, die sie mit funkelnden Facettenaugen anstarrten und die dann, auf der Blattunterseite sitzend, auf haarigen Beinen zu schwingen begannen. Es bereitete ihm Genugtuung, daß der Urwald mit seinem tausendfältigen Leben den Mornen Ekel und Abscheu einflößte.
Und dann freute er sich doch über Tekla, die in begeisterte Rufe ausbrach, als sie sah, wie vor ihr ein winziger Vogel mit schwirrendem Flügelschlag, als gäbe es für ihn keine Schwerkraft, vor einer grellbunten Blüte verharrte und seinen gebogenen, übermäßig langen Schnabel in ihren Kelch tauchte.
»Du wärst noch begeisterter, wenn du die Maske abnehmen könntest«, rief er ihr über die Schulter zu und beobachtete Bojan aus den Augenwinkeln, »diese Blüten strömen einen wunderbaren Duft aus!«
Er sah, daß Bojan aufhorchte und sich mißtrauisch umblickte. »Wir werden unsere Masken auf diesem Planeten nie abnehmen können«, erklärte er schroff.
Rod verdroß die kurz angebundene Art des Fremden, mit der er sich nicht anfreunden konnte. »Ich weiß«, sagte er und winkte ab. »Bakterienangst. Aber glaubt mir, unsere Ärzte haben ausgezeichnete Mittel gegen derartige Erkrankungen.«
»Aber unsere Körper nicht. Außerdem bin ich nicht davon überzeugt, daß eure Ärzte alle Krankheiten beherrschen.«
Rod war betroffen von der Kälte in den Worten des Mornen, aber er kam zu keiner Antwort, denn Bojan fuhr bereits fort: »Denk an unseren Begleiter Bracke. Noch vor wenigen Tagen hatte er eine Infektion, gegen die es, wie er behauptete, kein wirksames Mittel gibt.«
»Du meinst den Schnupfen?« Rod lachte. »Das ist eigentlich keine Krankheit. Er gehört zum normalen Leben, ein- oder zweimal im Jahr.«
Jetzt schaltete sich Karin Bachfeld, die bisher kaum etwas gesprochen hatte, wieder ein. »Ganz so ist es nicht. Denken wir nur an die Indianer, zu denen wir unterwegs sind. Noch vor wenigen Jahrzehnten verlief für sie ein Schnupfen häufig tödlich, weil ihre Körper keine Abwehrstoffe dagegen hatten. Heute allerdings haben auch sie sich an den Schnupfen gewöhnt.«
Bojan machte keinen Hehl aus der Tatsache, daß er die nachlässige Einstellung der Menschen ablehnte. »Es dürfte doch nicht schwerfallen, eine derart weitverbreitete Krankheit auszurotten«, meinte er.
Karin Bachfeld schob Rod zur Seite. Sie war nach vorn gekommen, um nicht ständig schreien zu müssen, damit man sie verstand. »Selbstverständlich gibt es Behandlungsmethoden. Man kann sich zum Beispiel impfen lassen.«
Kont, der Arzt, schüttelte sich in gespieltem Entsetzen. Die brutalen Methoden der irdischen Medizin mußten ihn erschrecken. Kein Wunder, wenn man einen Mornen mit einer Heiltherapie konfrontierte, bei der dem Patienten ein unter Druck stehendes Serum in die Blutbahn getrieben wurde, das in vielen Fällen aus abgeschwächten Krankheitserregern bestand.
»Aber es gibt eine Menge Menschen, die etwas gegen das Impfen haben«, sagte Rod. »Und zu ihnen gehört nicht nur Wolfram Bracke.« Er war überzeugt, daß Kont den Mann vom Mond nur zu gut begriff, und es hatte tatsächlich den Anschein, als würden sie dieses Thema so bald nicht wieder berühren.
Ganz plötzlich tauchte vor ihnen ein Hindernis auf. Zwei mehr als meterlange Schilfhalme steckten rechts und links des Weges. Die Halme waren an ihren oberen
Weitere Kostenlose Bücher