Am Rande wohnen die Wilden
Enden mit Federn verziert und waren so geneigt, daß sie als diagonales Kreuz den schmalen Pfad völlig versperrten. Schon wollte Rod das Hindernis beseitigen, als ihn Bracke aufgeregt daran hinderte.
»Hände weg, Rod!« knurrte er. »Das ist eine unmißverständliche Aufforderung, nicht weiter in das Gebiet der Indianer einzudringen. Wir müssen hier warten, bis sie entweder selbst zu uns kommen oder uns auf irgendeine Art zur Umkehr zu bewegen suchen.«
»Und wir können nichts dagegen tun?« Bojans Frage drückte Erstaunen aus.
Bracke schüttelte den Kopf. »Nein! Wir würden nur riskieren, von einem ihrer Pfeile getroffen zu werden. Und diese langen Pfeile, die mit Bogen verschossen werden, sind nicht ihre gefährlichste Waffe! Die kurzen, kaum zwanzig Zentimeter langen Schilfsplitter, die sie aus Blasrohren verschießen, sind absolut tödlich, wenn nicht sofort eine Injektion eines Gegengiftes erfolgt. Diese hier machen nur Fleischwunden.« Er deutete auf die kräftige Spitze eines der beiden Pfeile, die sich kurz über dem Boden in eine Wurzel gebohrt hatte. Bojan richtete sich steil auf. »Das ist barbarisch!« erklärte er. Bracke schüttelte lächelnd den Kopf. »Man darf sie nicht mit unseren Maßstäben messen. Sie sind immer noch davon überzeugt, daß nur ihre Aversion gegen die Weißen ein Überleben sichert. Und nicht nur aus den Gründen, die Karin Bachfeld vorhin nannte. Gewiß spielt die Tatsache, daß sie jahrhundertelang unterdrückt wurden, eine Rolle. Auch daß ihnen die Weißen Krankheit und Tod brachten und sie übervorteilten, wo immer es ihnen gelang, hat dazu beigetragen. Aber das alles liegt so weit zurück, daß sie es vielleicht schon längst vergessen hätten.
Nein, heute haben sie andere Gründe. Sie besitzen vereinzelt moderne Radios, und aus den Sendungen der letzten Jahre mußten sie entnehmen, daß die moderne Menschheit dabei war, sich selbst auszurotten. Sie hörten von Industriemüll, verseuchter Luft und verschmutztem Wasser. Sie wurden darüber informiert, daß der moderne Mensch dabei war, zum Roboter zu werden, zu einer Maschine, die nur einen einzigen Handgriff tut, jahrein, jahraus einen Handgriff, und nichts anderes.«
»Aber.«, versuchte Bojan zu unterbrechen.
Mit einer Handbewegung wehrte Bracke ab. »Niemand kann sie vom Gegenteil überzeugen. Einsicht ist eine Frage des Bildungsstandes. Dieses Geschwätz einer untergehenden Ordnung ist für sie das Entsetzensgeschrei einer ganzen untergehenden Welt. Es wird noch Jahre dauern, ehe die moderne Menschheit diese Minderheiten davon überzeugt hat, daß auch diese letzte Gefahr gebannt ist. Das alles ist ein sehr langer Prozeß, und es ist gut, daß wir gelernt haben, mit ihnen in Geduld umzugehen.«
Rod beobachtete Bojan, der anscheinend mit großem Interesse zuhörte. Jetzt aber wandte der Morne lauschend den Kopf.
Zu gleicher Zeit hörte man zwischen den Bäumen hier und dort ein leises Rascheln, dessen Ursache nicht zu ermitteln war. Bojan hob langsam die Hand.
»Sie kommen!« sagte sein Translater, und die anderen Mornen bestätigten mit leisen Worten, daß auch sie die ersten mentalen Impulse der Indianer aufnahmen.
Schatten huschten zwischen den Bäumen, dunkle, kleine Gestalten, die jeden Baum, jeden Strauch geschickt als Deckung nutzten. Nur die Bewegung an sich, nicht aber diejenigen, die sie verursachten, war zu erkennen. Rod fühlte, daß sich ein Ring um die Gruppe schloß, und das alles ging mit einer Lautlosigkeit vonstatten, daß es ihm unheimlich wurde.
Völlig schutzlos stand die Expedition auf dem schmalen Weg, jederzeit konnte sich einer der tödlichen Pfeile ein Opfer unter ihnen suchen. Erst jetzt begriff Rod, was es für einen Mornen bedeuten mußte, auf ihre gesamte Technik, die sie schützte und betreute, zu verzichten. Ohne Zögern waren sie auf Brackes Vorschlag eingegangen, als er ihnen erklärt hatte, daß es keine Möglichkeit gäbe, die Indianer kennenzulernen, wenn sie sich ihnen mit dem Antigraven oder einem anderen Fahrzeug zu nähern versuchten. Die Indianer würden mit Sicherheit auf Nimmerwiedersehen in den dichten Wäldern verschwinden. Die einzige Chance sei der Marsch durch den Urwald nach Art der normalen Expeditionen.
Rod blickte auf Bojan und deutete auf den Weg hinter ihnen, der nach wenigen Metern im Dämmer mächtiger Baumriesen verschwand.
»Wir können nicht mehr zurück«, sagte er. »Die Indianer sind uns im Wald in jeder Beziehung überlegen. Hoffen wir,
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