Am Rande wohnen die Wilden
bedrückt und düster und wurde einem ernsten, kummervollen Menschen immer ähnlicher.
Als Bracke sein Zimmer verließ, traf er auf Lester Sullivan, der gerade im Begriff zu sein schien, ihm einen Besuch abzustatten. Mit Erschrecken erinnerte er sich daran, daß Sullivan ihn ersucht hatte — er betonte damals das Wort »ersucht« und machte auf seine Amtsbefugnis als Ratsvorsitzender aufmerksam —, ihm ständig Bericht zu erstatten. Warum er ausgerechnet auf ihn verfallen war, vermochte Bracke nicht zu sagen, aber jetzt war dieser Besuch das letzte, das er sich gewünscht hätte. Sullivan trug trotz der Wärme einen dunklen Anzug, aus dessen modischem Ausschnitt ein blütenweißer Hemdkragen hervorleuchtete. Die Augen hatte er hinter einer dunklen Brille verborgen.
»Hallo, Bracke!« begrüßte er ihn betont freundlich, aber man hörte deutlich einen mißbilligenden Unterton aus der sonoren, nie sonderlich lauten Stimme heraus. Vielleicht hatte er sogar das Recht dazu, denn Bracke hatte bisher nur wenig zu berichten gehabt, und auch das wenige hatte er noch nach Kräften gekürzt. Er beruhigte sein Gewissen, das ihm ohnehin nicht allzu kräftig schlug, mit der Tatsache, daß es bisher kaum etwas Neues gab, daß der Gesundheitszustand der Patienten unverändert ernst war.
»Man hört wenig von Ihnen«, stellte Sullivan anzüglich fest und betrachtete ihn von oben bis unten, »aber wenn ich mir Sie so ansehe, dann fange ich an zu begreifen. Sie scheinen unter die Ärzte gegangen zu sein.« Bracke zuckte die Schultern und bemühte sich, seiner Stimme einen frostigen Klang zu geben, als er erklärte: »Da ich Betreuer einer der Forschungsgruppen bin, bindet mich meine Aufgabe an dieses Krankenhaus.«
»Sie werden es überstehen, denke ich.« Sullivan lachte und schlug ihm auf die Schulter. »Das sollte auch kein Vorwurf sein. Aber da Ihre Nachrichten etwas spärlich fließen, habe ich beschlossen, selbst nach dem Rechten zu sehen.«
Bracke konnte sich eine bissige Bemerkung über den dunklen Anzug, den er offensichtlich immer zu tragen pflegte, wenn er nach dem Rechten sähe, nicht verkneifen, aber Sullivan verstand die Andeutung nicht, und vielleicht war es besser so.
»Unsinn!« knurrte er. »Der Anzug ist neu.« Er schnippte ein Stäubchen vom Ärmel. »Oder glauben Sie, ich würde mich freiwillig in eine derartige Verkleidung stürzen, wie Sie sie zu lieben scheinen?«
»Sie werden es müssen.« Bracke zuckte die Schultern. »In diesen Krankenhäusern herrschen strenge Sitten, auch für Sie.«
»Haben Sie noch solch einen Kittel?«
»Habe ich!« sagte Bracke kurz angebunden und öffnete die Tür zu seinem Zimmer. Er ließ Lester den Vortritt und war innerlich wütend über den arroganten Ton, in dem er behandelt wurde. Viel schlimmer war aber, daß Sullivan ausgerechnet jetzt hier ankam, zu einem Zeitpunkt, zu dem er, Wolfram Bracke, begann, sich etwas näher an Karin Bachfeld anzuschließen. Er hätte nie die Initiative ergriffen, wäre da nicht der Eindruck gewesen, daß auch sie ein gewisses Interesse für ihn empfände. Aber er war ziemlich sicher, daß sie sofort wieder große Augen bekommen würde, wenn ihr Sullivan gegenüberträte. Er erinnerte sich an ihr Gesicht im Hotel in Frisco, als sie Lester zu sehen erwartete und statt seiner nur der »Mondmann Bracke« in der Halle auf sie wartete. Er konnte sich nicht erklären, warum sie das alles hinnahm, ohne sich von Sullivan endgültig zu trennen. Für ihn war sie eine Frau, in die man sich einfach verlieben mußte. Für Sullivan war sie zu schade. Kaum war der Gedanke zu Ende gedacht, da schalt er sich schon einen boshaften Egoisten.
Wütend warf er die Schranktür zu und quittierte den verweisenden Blick Sullivans mit einem Schulterzucken.
Als sie die Tür zum Krankenzimmer öffneten, sahen sie Karin Bachfeld, die die Druckverhältnisse in den Foliezelten der Kranken überwachte und in Intervallen die Bakterienabsorber einschaltete, vor ihrem Pult. Trotz der sonnenbraunen Farbe, die ihre Haut in den Tagen der Expedition angenommen hatte, sah sie müde und übernächtig aus. Daran konnte auch die hellblaue Tracht der Pflegerinnen nichts ändern. Das blonde Haar hatte sie unter einer Haube verborgen.
Bracke bemerkte ärgerlich, daß sie bis unter den Haaransatz errötete, als sie Sullivan sah. Lester ging auf sie zu, ohne die drei stillen Mornen unter den Sauerstoffzelten sofort zu beachten, und zog sie an sich. Bracke sah aber auch, daß sie
Weitere Kostenlose Bücher