Am Rande wohnen die Wilden
berührte. Er versuchte, sich zu verschließen, aber es gelang nicht ganz. Er hätte viel auf ihre Fragen sagen können, zum Beispiel, daß er nicht nach Anerkennung strebe, daß er es ehrlich meine mit der Gefahr, die das Bakterium heraufbeschwöre. Er hätte ihr auch sagen können, daß sie ihren Anteil an der zweiten Sonne nicht kleiner darstellen solle, als er wirklich war, aber er tat es nicht. Das alles hätte den Kern der Sache nicht getroffen.
»Algen sind auch Leben«, antwortete er verstimmt, »und wenn du der Meinung bist, daß es falsch ist, Leben zu vernichten, dann hättest du mich nicht auf die Algenherde aufmerksam machen dürfen. Schließlich konntest du dir meine Reaktion darauf ausrechnen.«
»Es wäre unaufrichtig von mir gewesen«, entgegnete sie lächelnd. »Ich konnte es dir nicht verschweigen.«
Er wußte, daß sie recht hatte. Es gab mehrere Punkte, in denen ihre Ansichten auseinandergingen.
»Diese Bakterien sind unberechenbar und deshalb gefährlich«, schloß er seine Gedankenkette ab.
»Ich weiß, daß dir alles zuwider ist, was sich nicht genau vorherbestimmen läßt, was nicht programmierbar oder berechenbar ist, aber du selbst hast noch irgendwo eine Ader, die auf natürliche Prozesse mit geheimer Freude reagiert, oder wie erklärst du dir, daß du gern in das Wasser starrst und versuchst, die Gesetzmäßigkeiten seiner spontanen Bewegungen herauszufinden?«
Er winkte ab. »Das ist etwas völlig anderes. Eigentlich wird dadurch das genaue Gegenteil bewiesen. Eben, weil ich mich nicht mit der Spontaneität fließenden Wassers abfinden kann, versuche ich die Gesetze seiner scheinbar unmotiviert auftretenden Verwirbelungen zu ergründen«, sagte er und fühlte doch zugleich, daß er nicht aufrichtig war. Natürlich war es dumm von ihm, anzunehmen, Cosita würde ihn nicht durchschauen. Er blickte sie von der Seite an, aber sie reagierte nur mit einem wissenden Lächeln, das jedoch seine rasch aufkeimenden Gewissensbisse keineswegs abschwächte.
Es verdroß ihn, daß er wieder nicht einschlafen konnte. Er war durch die Unterhaltung erregt. Schließlich legte er seinen Arm um Cositas Nacken und zog ihren Kopf an seine Schulter. Sie schmiegte sich an ihn, und er registrierte erstaunt, daß sie anders war als sonst, weniger spröde. Auch ihren Streit hatte sie beendet, ohne das letzte Wort zu beanspruchen, obwohl es ihr in diesem Falle zweifellos zugestanden hätte. Im Unterbewußtsein nahm er wahr, daß sie die Amplitude des Schlafemitters erhöhte.
Als er am Morgen erwachte, fühlte er sich entspannt und ausgeruht. Trotzdem blieb er bei seinem Entschluß, sich dem Diagnoseautomaten zu stellen. Außer gelegentlichen Verletzungen gab es auf Morn keine körperlichen Gebrechen mehr. Seit Jahrhunderten traten weder Seuchen noch ansteckende Krankheiten auf, und auch die Verletzungen verliefen bei dem völligen Fehlen von Infektionsträgern fast immer harmlos. Statt dessen waren psychische Schädigungen häufig, und man konnte sie nicht ernst genug nehmen. Das komplizierte Zusammenleben einer großen Anzahl von Individuen brachte Probleme mit sich, die nur durch absolute Abstimmung mit den Interessen der Gesellschaft kompensiert werden konnten.
Sobald er die Augen öffnete, schaltete sich der Tentakel ein. Das Rufzeichen des Rates ertönte.
»Faunian zwölf., Faunian zwölf«, flüsterte die Stimme. »Information des Rates. Die ersten bis an den Rand unserer Galaxis vorgestoßenen Fernsonden erreichen heute den Rand unseres Sonnensystems. Mit ihrer Landung und dem Beginn der Auswertung der Aufzeichnungen ist ab morgen zu rechnen. . Faunian zwölf.«
Er schaltete den Tentakel ab. Durch die Sendung des Rates war er auf ein neues Problem aufmerksam geworden. In wenigen Tagen sollte die Expedition starten, die die Aufgabe hatte, etwa die Hälfte des Weges bis zum Rande der Galaxis zurückzulegen und bestimmte Gesetze des Evolutionsabfalls zu untersuchen, die der Raumfahrer Kaltos entdeckt hatte oder doch zumindest glaubte, entdeckt zu haben. Er, Faunian, sollte der Leiter dieser Expedition sein. Unter diesem Aspekt betrachtet, lohnte es sich, seinen Entschluß, sich untersuchen zu lassen, erneut zu durchdenken. Was, wenn der Diagnosetentakel tatsächlich einen Defekt feststellte? War er dann nicht verpflichtet, die Leitung der Expedition niederzulegen? Sollte er Cosita allein mit den anderen Teilnehmern fliegen lassen? Würde sie überhaupt fliegen, wenn er auf Morn blieb? Wenn er es
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