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Am Rande wohnen die Wilden

Am Rande wohnen die Wilden

Titel: Am Rande wohnen die Wilden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
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Wiese hatten sie nach wenigen Schritten nasse Schuhe, und die Kälte stieg unangenehm an ihren Beinen herauf. Rod merkte, daß das Mädchen an seiner Seite zitterte. Wahrscheinlich machten ihr die Kälte und der Schock zu schaffen. Er konnte es ihr gut nachfühlen. Mit Sicherheit aber war ihm selbst noch elender zumute. Die Flucht aus dem Unfallwagen war eine Riesentorheit. Jetzt, bei etwas ruhigerem Nachdenken, wurde er sich darüber klar. Dadurch wurde an ihrer Situation nichts besser, eher wurde alles schlimmer.
    »Die Sonne wird bald über dem Wald aufgehen.« Er versuchte Betty zu trösten, aber er glaubte nicht, daß sie seine Worte verstand. Sie atmete schwer, und er hatte das Gefühl, daß sie am Ende ihrer Kräfte war.
    »Sie wird in unserem Rücken stehen und uns wärmen«, setzte er hinzu und blickte sich um. Er war sicher, daß man sie verfolgen würde, und hoffte darauf, daß sie, bevor die Sonne über dem Wald aufging, die Nebelbank über dem Fluß erreicht haben würden. Allerdings würde sie die Sonne dann kaum wärmen.
    Der Nebel über dem Fluß bildete seltsame Formen. Bald hatte er die Gestalt eines großen Tieres, bald schien es, als wolle er nach oben steigen und sich verflüchtigen. Es war windstill, und Rod war froh darüber. 
    Bei der Kälte hätten sie sich in ihren dünnen Sachen den Tod holen können.
    Er hielt Betty an der Hand und zog sie durch das nasse Gras mit sich. Die dünnen Halme waren kniehoch und hinderten sie am Laufen. Immer wieder strauchelte das Mädchen.
    Rod war heilfroh, daß er Weg und Steg genau kannte. In den vergangenen Monaten hatte er oft, bis zur Unkenntlichkeit vermummt, in dieser Gegend lange Läufe absolviert, um Gewicht zu machen.
    Jack F. war in dieser Beziehung stur wie ein Nashorn. Überflüssige Pfunde seien das schnelle Aus für einen Boxer, pflegte er zu sagen.
    Plötzlich kam Rod zu Bewußtsein, daß er diese Schinderei wahrscheinlich ein für allemal hinter sich hatte, und Panik überfiel ihn. Es erschien ihm unglaublich, daß er einen Menschen getötet haben sollte. Es machte wohl keinen Unterschied, ob es absichtlich oder fahrlässig geschehen war. Er würde kaum jemals einem anderen wieder offen ins Gesicht sehen können, auch dann nicht, wenn er seine Strafe abgesessen haben würde.
    Außerdem mußte er so schnell wie möglich etwas für Betty tun. Es bestand die Gefahr, daß sie in die Sache mit hineingezogen wurde. Eigentlich war sie, nachdem sie sich auf seine Seite geschlagen hatte, schon mittendrin.
    Er sah sie von der Seite an, und wieder kam ihm zum Bewußtsein, daß sie bis zum Umfallen erschöpft war. Unwillkürlich ging er langsamer.
    Sie mußten versuchen, das Haus des alten Buddy zu erreichen, unten am Fluß. Hier hatte er in den vergangenen Monaten oftmals gerastet, wenn er seine Trainingsläufe unterbrochen hatte. Für ihn war die alte Holzhütte eine Art Asyl gewesen, mit Ruhe und Geborgenheit. Er zweifelte jedoch, daß sie das in der derzeitigen Situation bleiben würde.
    Niemand wußte genau, wie der alte Buddy wirklich hieß und woher er kam. Den ganzen Winter über stand die Hütte leer, und erst ab Mai, wenn überall das Grün hervorbrach, stand wieder die dunkle Rauchfahne des Holzfeuers über der Esse. 

    Als sie den Fluß erreichten, ging Rod wieder schneller. »In wenigen Minuten können wir uns ausruhen«, sagte er rauh.
    Betty nickte und versuchte, ihre Schritte zu beschleunigen. Antworten konnte sie nicht, sie war völlig außer Atem.
    Die Bäume am Ufer waren tropfnaß, ließen ihre Blätter träge herabhängen, und aus dem Fluß stieg Kälte in das Geäst.
    Rod wandte sich nach links, fand einen schmalen Pfad, und bald standen sie vor der aus rohen Stämmen gezimmerten Hütte.
    Sie hätte wie eine Kulisse aus einem alten Westernfilm gewirkt, wäre nicht die Zuleitung des Telefonanschlusses und eine windschiefe Fernsehantenne gewesen, die der Hütte etwas Groteskes gaben.
    Rod trommelte gegen die Tür, die schief in den Angeln hing, aber noch fest im Schloß zu sitzen schien. Minutenlang horchten sie, und als sich nichts rührte, hämmerte Rod mit aller Kraft auf die alten Balken ein. Im Inneren hallten die Schläge, daß man damit einen Toten hätte aufwecken können, aber der Alte meldete sich nicht.
    Rod hob die Schultern.
    »Er wird unten am Fluß sein«, sagte er. »Er angelt sehr gern. Das war einer der Gründe, warum ich immer wieder zu ihm gegangen bin. Er ist ein Meister der Kochkunst.«
    Sie wandten sich

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