Am schönsten Arsch der Welt: Bekenntnisse eines Neuseelandreisenden (German Edition)
über den Boden krabbelte. Auf der anderen Seite befand sich in Kniehöhe eine Vertiefung, in der ich zum Schlafen die Beine verstauen konnte. Nicht nur meine eigenen, es wäre genug Platz für eine mehrköpfige Familie gewesen. Daraufhin beschloss ich, zwei Kinder aus der Economy-Klasse zu adoptieren. Bei mir war einfach mehr Platz, und die Eltern wären sicher froh, ihren Nachkommen eine bessere Zukunft zu bescheren.
Die Anzahl der Öffnungen und Klappen, die ich in Reichweite meines Sitzes betätigen konnte, war schier unermesslich: Glas-Absteller, Kopfhörerfach, Ablage für die Fernbedienung, Klappe für den Esstisch, Fach für Zeitschriften, ein Schminkspiegel (beleuchtet und natürlich auch vergrößernd) und zu guter Letzt das Wichtigste – die Elektroabteilung: Klappe auf, und sofort standen mir internationale Steckdosen für Strom, zwei USB-Steckplätze, ein Netzwerkkabel und irgendein Videoeingang zur Verfügung. Ich schloss meine mitgebrachte Elektronik an, aber leider machten die Triebwerke danach so komischeGeräusche. Nachdem ich es ausgesteckt hatte, war alles wieder normal.
Ich betatschte begeistert die ganzen Einrichtungsgegenstände. Jeder Knopf wurde wieder und wieder gedrückt, sodass die Mitreisenden schon müde lächelnd auf mich herabsahen. Danach testete ich das Bordprogramm, das rund 400 Filme bot. Davon waren gefühlt 399 indische Bollywood-Streifen, der Rest handelte von vielfältigen Problemen, die sich nur durch Anwendung exzessiver Karatetechnik lösen ließen.
Ich kann deine Begeisterung nachvollziehen. Meine Erinnerungen an Langstreckenflüge verlieren sich meist in einem Nebel aus Beinschmerzen und wegen Unterforderung rebellierenden Muskeln. Regelmäßig habe ich auch das Glück, von den 300 Sitzplätzen genau den zu erwischen, bei dem der Multimediabildschirm im Vordersitz dauerhaft schwarz bleibt. Trotzdem muss ich aus purem Neid und um mein umweltfreundliches Image zu festigen, anmerken, dass diese luxuriöse Form der Fernreise unter ökologischen Gesichtspunkten natürlich vollkommener Wahnsinn ist. So viel mehr Kerosin verblasen für ein bisschen mehr Glück in Form eines elektrosmogverseuchten Fernsehliegesessels über den Wolken. In Sachen Ökobilanz hättest du besser Werbung für Mecklenburg-Vorpommern oder noch besser für Bonn-Wachtberg gemacht, statt für Neuseeland.
Falls es dich interessiert, ich habe auch gerade eine Reise hinter mir. Hatte ebenfalls viel Platz um mich herum. Konnte mir sogar zwischenzeitlich die Beine vertreten, die fabelhafte Aussicht genießen und einen Blick ins Cockpit werfen. Nur beim Bordprogramm musste ich ein paar Abstriche machen. Und einen Snack habe ich auch nicht bekommen. Da geht noch was auf der Strecke von Deutz nach Nippes, liebe Kölner Verkehrs-Betriebe! Dafür haben sie heute wenigstens keine Häuser über unserer U-Bahn einstürzen lassen.
Sicher hat sich der weitere Verlauf des Fluges zu deiner vollsten Zufriedenheit gestaltet. Und hoffentlich hallte es in der weiträumigen Business-Klasse nicht allzu sehr, als die Flugbegleiterin beim Einschenken versehentlich mit der Champagnerflasche auf den Rand des Kristallglases dängelte. Konntest du dich bei dieser Auswahl an Unterhaltungsfilmen überhaupt entspannen? Achte darauf: In jeder guten Bollywood-Inszenierung müssen die folgenden neun Rasas, die Zentren alter indischer Kunst und Ästhetik, thematisiert werden: Liebe, Heldentum, Ekel, Komik, Schrecken, Wundersames, Wut, Pathos und Friedvolles.
Nachdem du dich ja bereits heldenhaft um den Nachwuchs des Pöbels aus der Economy-Class gekümmert und das wundersame elektronische Steckfeld-Universum in deinem Sitz erforscht hast, bist du bollywoodmäßig auf einem guten Weg.
In den Bollywood-Filmen kommt übrigens immer eine Wet-T-Shirt-Szene vor, in der die Hauptdarstellerin, natürlich bekleidet, im Wasser badet. Dann steigt sie aus den Fluten und … na ja, macht die Zuschauer rollig.
Ich habe jetzt 122 dieser Szenen angesehen und mit meinem Handy vom Display abgefilmt. Du kriegst dann einen Zusammenschnitt.
Hier, im Flieger von der Nord- zur Südinsel, ist solch ein Service nicht zu erwarten und wenn man ehrlich ist, auch nicht nötig. Eine halbe Stunde Flug und aus dem Fenster der Blick auf das weit unter einem liegende Neuseeland reichen zur Ablenkung völlig aus. Rund sechs Stunden, nachdem ich dem warmen Schlammbad in einer Eleganz entstiegen bin, dass Kreationisten ihre Freude an dieser Form der Menschwerdung gehabt
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